Kein Jubel

Während weltweit die meisten Massenmedien bereits den Sturz des libyschen Staatschefs Muammar Al-Ghaddafi gefeiert haben, halten zahlreiche Regierungen in Lateinamerika und Afrika an ihrer Verurteilung der NATO-Intervention gegen das nordafrikanische Land fest. »Der Imperialismus bringt die Völker dazu, sich wie Hunde zu bekämpfen, bewaffnet Gruppen hier und dort, um sie anschließend zu bombardieren und das Land zu besetzen und sich ihre Reserven und ihr Erdöl anzueignen«, erklärte Venezuelas Präsident Hugo Chávez am Dienstag (Ortszeit) in Caracas. Seine Regierung werde in Libyen keine Regierung anerkennen, »die in Folge dieser imperialistischen Aggression installiert« werde. Die einzige legitime Führung des Landes sei die von Muammar Al-Ghaddafi.

In Managua erklärte Bayardo Arce, der als Wirtschaftsberater dem Kabinett von Präsident Daniel Ortega angehört, die nicaraguanische Regierung werde einem Asylantrag Ghaddafis stattgeben, sollte dieser gestellt werden. »Wenn uns jemand um Asyl bitten würde, müßten wir dies positiv erwägen, denn unser Volk erhielt in vielen Ländern Asyl, als uns die Somoza-Diktatur ermordete. Nun müßten wir uns logischerweise ebenso verhalten, wie wir dies ja auch schon getan haben«, sagte Arce. Zugleich erklärte er jedoch, er halte einen solchen Asylantrag des libyschen Staatschefs praktisch für ausgeschlossen, denn er wisse nicht, wie Ghaddafi in das zentralamerikanische Land gelangen sollte: »Wir haben in Libyen nicht einmal eine Botschaft.«

Nicaragua war in den vergangenen Monaten international zu einem der wichtigsten Verbündeten der libyschen Regierung geworden. Nachdem Libyens UN-Botschafter Abdurahman Shalgam zu den Aufständischen übergelaufen war und Washington seinem von Tripolis ernannten Nachfolger Ali Treki die Einreise verweigerte, hatte Nicaraguas früherer Außenminister Miguel d’Escoto auf Bitten der libyschen Regierung im März die Vertretung des nordafrikanischen Landes bei den Vereinten Nationen übernommen. Die den regierenden Sandinisten nahestehenden Medien hatten auch in den vergangenen Tagen keinen Hehl aus ihrer Sympathie für den Widerstand der libyschen Regierungstruppen gegen NATO und Rebellen gemacht. Die Opposition des Landes wertet deshalb den absehbaren Sturz Ghaddafis auch als Niederlage Ortegas. In der stramm rechten Ta­geszeitung La Prensa äußerte deren Kommentator Luís Sánchez Sancho sogar die Hoffnung, »wie der Fall der Berliner Mauer« könne der Sturz Ghaddafis wegweisend für einen erneuten Sturz Ortegas sein. Nach dessen Wahlniederlage 1990 habe Ghaddafi sogar dessen privaten Lebensunterhalt finanziert und ihm auch den Wahlkampf 2006 bezahlt, behauptete Sánchez.

In Quito unterstrich die Regierung Ecuadors, das Schicksal Libyens müsse durch das Volk des nordafrikanischen Landes entschieden werden, »und nicht durch eine Militärallianz, die dort mit Tausenden Bombenangriffen eindringt, um sich in bester Kolonialtradition das Erdölgebiet eines Landes einzuverleiben«. Der für Asien, Afrika und Ozea­nien zuständige Staatssekretär im ecuadorianischen Außenministerium, Rafael Quintero, zeigte sich besorgt über die Verletzung internationaler Abkommen und der Menschenrechte in Libyen und warnte, daß dies als »Modell« dienen könne, um später auch in anderen Ländern zu intervenieren. Er forderte einen sofortigen Rückzug ausländischer Truppen aus Libyen.

Erschienen am 25. August 2011 in der Tageszeitung junge Welt sowie am 26. August 2011 im Internetportal Cubadebate und in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek