Kein Hinterhof mehr

Die US-Botschafterin bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Carmen Lomellin, soll am Donnerstag beim Amerika-Gipfel im kolumbianischen Cartagena die versammelten Außenminister aus 34 Staaten des Kontinents verzweifelt gefragt haben, was sich denn eigentlich geändert habe, warum sie heute eine andere Position vertreten als früher. »Was sich geändert hat, ist Amerika. Wir sind freie, unabhängige Länder«, sei die einstimmige Antwort gewesen, kolportierte Venezuelas Außenminister Nicolás Maduro. Zuvor hatten sich die Vertreter von 32 amerikanischen Staaten dafür ausgesprochen, die Ausgrenzung Kubas von diesen Treffen zu beenden.

Das gleiche Bild zeigte sich Medienberichten zufolge bei der Diskussion um den Streit zwischen Argentinien und Großbritannien um die Malwinen (Falklandinseln). Außer Washington und Ottawa solidarisierten sich alle anderen Teilnehmer mit der Forderung Argentiniens nach Rückgabe der seit 1833 von Großbritannien beanspruchten Inselgruppe.

Washington muß in Cartagena erneut erleben, daß es keinen Hinterhof mehr hat. Selbst den USA ideologisch nahestehende Regime wie die Kolumbiens und Chiles mucken auf, und Mexikos konservativer Präsident Felipe Calderón legte vor seiner Reise zum Gipfel sogar erst mal einen demonstrativen Abstecher nach Havanna ein.

Ecuadors Präsident Rafael Correa bleibt dem Gipfel fern, um gegen den Ausschluß Kubas zu protestieren. Die übrigen Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Allianz ALBA haben auf einen angedrohten Boykott verzichtet. Ihnen war offenbar klar, daß US-Präsident Barack Obama es sich im Wahljahr innenpolitisch nicht leisten kann, auf einem gemeinsamen Gruppenfoto mit Raúl Castro zu erscheinen. Sie hoffen darauf, daß er nach einer Wiederwahl offener agieren kann. Das meinte auch Argentiniens Außenminister Héctor Timerman, der ultimativ feststellte: »Es wird keine weiteren Gipfeltreffen ohne Kuba mehr geben!«

Noch bleibt das Aufbegehren gegen das Imperium im Norden jedoch weitgehend symbolisch. Allen Regierungen ist klar, daß sich mit demonstrativem Selbstbewußtsein gegenüber Washington bei der eigenen Bevölkerung punkten läßt. Doch wirtschaftlich ist bislang niemand in der Lage, mit den USA zu brechen. Sogar für Venezuela bleiben die Vereinigten Staaten der wichtigste Handelspartner. Bemühungen, sich durch Initiativen wie der Bank des Südens oder der lateinamerikanischen Rechnungswährung SUCRE von dem durch die Metropolen dominierten Weltmarkt zu emanzipieren, stecken noch in den Kinderschuhen.

Doch der Anfang ist gemacht. Wollen die USA weiter eine wichtige Rolle in ihrem früheren Hinterhof spielen, brauchen sie die OAS. Ihre Nachbarn sind schon weiter und haben sich mit der Organisation der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) ihren eigenen Zusammenschluß geschaffen – mit Kuba, aber ohne die USA und Kanada.

Erschienen am 14. April 2012 in der Tageszeitung junge Welt