Kein Hafengeburtstag

Als alles vorbei war, am Montag nach dem G-20-Gipfel, schrieb mir ein Freund: »Es ist so ruhig hier! Wo ist der Hubschrauber?« Er wohnt in Hamburg, nicht weit entfernt von den Messehallen, in denen sich die Staats- und Regierungschefs ihr Stelldichein gaben, und von den Schauplätzen der Demonstrationen, Blockaden und Auseinandersetzungen. Wochenlang hatten sich die Einwohner damit abfinden müssen, dass rund um die Uhr Helikopter über ihren Köpfen lärmten und ihnen den Schlaf raubten. Verkehrsbehinderungen waren schon lange vor dem Gipfeltermin an der Tagesordnung, denn die Polizei probte ihre Einsätze.

Obwohl der Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) noch kurz vor dem Treffen den G-20-Gipfel mit dem jährlich in Hamburg gefeierten Hafengeburtstag verglichen hatte, wurde die Hansestadt in den Belagerungszustand versetzt. Ein 38 Quadratkilometer großes Areal wurde zum Sperrgebiet erklärt, damit die hohen Herren und wenigen Damen störungsfrei vom Flughafen zu ihren Hotels und zu den Tagungsstätten gelangen konnten. Offiziell hatten lediglich Kundgebungen auf der Protokollstrecke verhindert werden sollen – tatsächlich aber wurde in weiten Teilen der Stadt der Straßenverkehr blockiert. Weder Busse noch private Pkw konnten fahren, auch die ambulanten Pflegedienste waren betroffen. Sie konnten nur unter Schwierigkeiten zu den Patienten gelangen. Keine Rücksicht wurde auf Körperbehinderte genommen, die zu ihren im Sperrgebiet praktizierenden Ärzten gelangen mussten.

Die Wut über die kaltschnäuzige Geringschätzung der Bevölkerung durch die Vertreter der selbsternannten »20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer« drückte sich in Protesten aus. Überall sah man »No G20«-Schilder in den Fenstern von Wohnungen und Geschäften. Bei einer Demonstration beschwerte sich ein junger Mann per Pappschild: »Hey, das ist immer noch unsere Stadt!« Überhaupt zeigte die hohe Beteiligung an den spontanen und den geplanten Aktionen, wie viele Menschen ihre Kritik an dem Gipfel auf die Straße tragen wollten. Die Veranstalter der »Nachttanzdemo« etwa, die am 5. Juli von den Landungsbrücken aus mit Technomusik durch die Straßen zog, hatten mit vielleicht 2.000 Teilnehmern gerechnet – es wurden zehnmal so viele. Auch an der Demonstration »Welcome to Hell« beteiligten sich nicht die im Vorfeld herbeigeschriebenen »8.000 gewaltbereiten Autonomen« (von denen gab es maximal einige hundert). Statt dessen kamen rund 15.000 Menschen, die meisten ganz normale Hamburger oder aus anderen Städten angereiste Kritiker der herrschenden Politik.

Für die Eskalation sorgte die Polizei, auch wenn ihr vor allem am 7. Juli im Schanzenviertel einige Idioten die dringend gebrauchte Rechtfertigung lieferten. Schon am Sonntag, dem 2. Juli, hatten mehrere Hundertschaften trotz eines zugunsten der Aktivisten ergangenen Gerichtsurteils und damit rechtswidrig über Stunden den Aufbau eines Protestcamps an der Elbe verhindert. Nachdem er dann am Abend doch gestattet worden war, stürmte die Polizei nach 23 Uhr mit einem Großaufgebot die Wiese im Elbpark Entenwerder, um Schlafzelte einzureißen. Obwohl den Beamten nur passiver Widerstand entgegengesetzt wurde, kam es zu massivem Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz.

Das blieb in den folgenden Tagen das prägende Bild: Überall, wo sich Menschen zum Protest zusammenfanden, ging die Polizei mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken gegen die fast immer friedlichen Demonstranten vor. So heizte die Staatsmacht die Stimmung an. Die Eskalation war von Anfang an gewollt.

Erschienen am 15. Juli 2017 in der Tageszeitung junge Welt