Katalonien tritt aus

Das katalanische Parlament hat am Montag eine Resolution verabschiedet, in der »feierlich der Beginn des Prozesses zur Schaffung des unabhängigen katalanischen Staats in Form einer Republik« verkündet wird. Ausdrücklich festgelegt wird darin, dass sich Katalonien künftig keinen Entscheidungen der spanischen Institutionen mehr unterwerfen werde. Insbesondere gelte dies für Urteile des Verfassungsgerichts in Madrid. Dessen Richter hatten 2010 eine mühsam ausgehandelte Neufassung des katalanischen Autonomiestatuts für illegal erklärt, die zuvor im spanischen Parlament und per Referendum angenommen worden war. Waren die Befürworter der Unabhängigkeit bis dahin eine Minderheit, gewann die Bewegung seither auch vor dem Hintergrund der Krise in Spanien massenhaften Zulauf. Jährlich demonstrieren am 11. September, dem katalanischen Nationalfeiertag, zwischen einer und zwei Millionen Menschen für die Eigenständigkeit.

Für den Text der Resolution stimmten »Junts pel Sí« (Gemeinsam für das Ja), die Fraktion des liberalen katalanischen Ministerpräsidenten Artur Mas, und die antikapitalistische »Candidatura d’Unitat Popular (CUP, Kandidatur der Volkseinheit). Alle anderen Parteien votierten dagegen. Das Linksbündnis »Catalunya Sí que es pot« (Katalonien – Yes We Can) kritisierte, dass das Papier »viel Rhetorik« enthalte, aber keine Angaben mache, wie die Ziele erreicht werden sollen. Die Liste hatte vergeblich einen Kompromissantrag eingebracht, im kommenden Jahr eine verbindliche Volksabstimmung über die Unabhängigkeit durchzuführen.

Vor allem in ihren Anhängen weist die Resolution des katalanischen Parlaments die Handschrift der linken CUP auf. So wird die künftige Regierung beauftragt, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass alle Menschen Zugang zu einer würdigen Wohnung und zu öffentlicher Gesundheitsversorgung bekommen. Gefordert wird das Selbstentscheidungsrecht der Frauen über einen Schwangerschaftsabbruch. Schließlich wird die künftige Regierung beauftragt, direkte Beziehungen mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR aufzunehmen, um mit diesem die Aufnahme der »größtmöglichen« Zahl von Schutzsuchenden in Katalonien zu vereinbaren – unabhängig von Zusagen der spanischen Regierung.

Jordi Sànchez, der Vorsitzende der Bürgerbewegung »Katalanische Nationalversammlung« (ANC), begrüßte den Beschluss des Parlaments und erinnerte daran, dass die Katalanen exakt ein Jahr zuvor in einer nicht bindenden Volksbefragung für die Bildung eines eigenen Staates votiert hätten. Eigentlich hatte an diesem Tag ein echtes Referendum stattfinden sollen, das war jedoch vom spanischen Verfassungsgericht verboten worden. Eine andere historische Parallele zog an diesem 9. November der Chef der PP in Katalonien, Xavier García Albiol. Er warf den »Separatisten« vor, »eine neue Berliner Mauer errichten« zu wollen.

Welche Bedeutung die Parlamentsentscheidung wirklich hat, muss sich erst noch zeigen. Am Montag abend begannen die Abgeordneten die Diskussion um die Wahl des neuen Regierungschefs und dessen Programm. Die erste Abstimmung darüber soll am heutigen Dienstag stattfinden. Um als Regierungschef wiedergewählt zu werden, ist Artur Mas auf die Stimmen der CUP angewiesen. Deren Abgeordnete lehnen ihn bislang jedoch ab, weil sie Mas für Sozialabbau und Korruption verantwortlich machen. Sollte die Wahl des neuen Ministerpräsidenten scheitern, könnte es im März vorgezogene Neuwahlen geben. Dann wäre auch der Beschluss vom Montag hinfällig.

Erschienen am 10. November 2015 in der Tageszeitung junge Welt