junge Welt, 27. September 2014

Kampf um Kobani

junge Welt, 27. September 2014Die Milizen der Organisation »Islamischer Staat« (IS) sind am Freitag offenbar weiter auf die kurdische Stadt Kobani vorgerückt. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters konnten sie einen nahe der Ortschaft gelegenen Hügel erobern, den die kurdischen »Volksverteidigungseinheiten« (YPG) als Stellung im Kampf gegen die Dschihadisten genutzt hatten. Auf Hilfe aus der Luft können die Kurden jedoch offenbar trotz der Bombenangriffe der USA und ihrer arabischen Verbündeten nicht rechnen. Wie ein Kommandeur der YPG am Freitag dem ARD-Korrespondenten in Suruc an der türkisch-syrischen Grenze, Martin Weiss, sagte, richteten sich die Luftattacken bislang fast ausschließlich gegen die Infrastruktur des IS, nicht jedoch gegen dessen Kämpfer. Das könne zwar mittelfristig die Dschihadisten schwächen, unmittelbar entlaste das jedoch die kurdischen Verteidiger nicht.

 

In den letzten Tagen haben die USA vor allem Erdölraffinerien des IS angegriffen. Durch den Export des Rohstoffs sollen die islamistischen Milizen täglich zwei bis drei Millionen US-Dollar einnehmen. Die Schmuggelrouten, die solche Geschäfte erst möglich machen, werden bislang jedoch kaum gestört. Nach Ansicht von Experten führen diese vor allem durch die Türkei. Das erklärte bereits im Juli der Forschungsdirektor des in Dubai beheimateten Thinktanks INEGMA, Theodore Karasik, dem Internetportal Syria Deeply. Vor wenigen Tagen bezichtigte auch der stellvertretende Berater für nationale Sicherheit des Irak, Safa Al-Scheich Hussein, Ankara der IS-Unterstützung. »Sie bekommen massive Unterstützung von Seiten der Türkei und exportieren von dort aus Erdöl über kriminelle Kanäle nach Europa«, sagte er am Mittwoch der türkischen Tageszeitung Today’s Zaman.

Die Sorge um das Leben der türkischen Konsulatsangestellten, die der IS bei der Eroberung der irakischen Stadt Mossul gefangengenommen hatte, diente Ankara jedoch wohl vor allem als willkommener Vorwand für die Zurückhaltung im Kampf gegen die Dschihadisten. Weiten Teilen der türkischen Führung ist es anscheinend wichtiger, die syrische Regierung unter Präsident Baschar Al-Assad zu stürzen und ein weiteres Erstarken der kurdischen Autonomiebewegung zu verhindern, als die Islamisten zu bekämpfen. So gingen türkische Sicherheitskräfte wiederholt gewaltsam gegen kurdische Freiwillige vor, die aus der Türkei nach Syrien gelangen wollten, um die Verteidigung von Kobani zu unterstützen. Trotzdem sei es »Tausenden« gelungen, den YPG zu Hilfe zu eilen, berichtete am Freitag die kurdische Agentur Firat. IS-Kämpfer können den Berichten zufolge dagegen nach wie vor ungehindert über die Grenze gelangen oder werden dabei sogar von den türkischen Behörden unterstützt. Auch Waffenlieferungen an die Dschihadisten können offenbar noch immer die Demarkationslinie passieren, berichtete am Freitag die türkische Nachrichtenagentur DIHA. Der kurdische Fernsehsender MED NUÇE sendete Aufnahmen, die türkische Panzer zeigen sollen, die in vom IS kontrollierte Gebiete geliefert werden. Als Reaktion auf das Verhalten Ankaras hatte die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) den Friedensprozeß mit der türkischen Regierung für gescheitert erklärt. Am Freitag kam es einer Meldung von Firat zufolge in Elmalidere zu Gefechten zwischen PKK-Kämpfern und der türkischen Armee.

Erschienen am 27. September 2014 in der Tageszeitung junge Welt