Jubel und Protest in Caracas

In Caracas sind am Mittwoch (Ortszeit) Tausende Menschen für und gegen die Politik der Regierung Venezuelas auf die Straße gegangen. Bei der Demonstration des Regierungslagers feierten die Anhänger von Präsident Nicolás Maduro eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Die Richter hatten am 7. Mai die von der Nationalversammlung gebilligte Privatisierung des staatlichen Wohnungsbauprogramms als verfassungswidrig verworfen. Die Oppositionsparteien, die im Parlament eine Zweidrittelmehrheit haben, hatten beschlossen, den Nutzern der durch den Staat gebauten Wohnungen Besitztitel auszustellen. Damit wäre der Verkauf der Appartements, für die die Bewohner keine oder nur geringe Mieten zahlen, möglich geworden. Das hätte Spekulanten und Miethaien Tür und Tor geöffnet, warnten Kritiker des Gesetzes.

Die »Große Mission Wohnhaus Venezuela« war 2011 vom damaligen Staatschef Hugo Chávez gestartet worden, um die Wohnungsnot in dem süd­amerikanischen Land zu bekämpfen. Zuerst wurden durch die Hunderttausenden neuen Wohnungen die Opfer von Naturkatastrophen versorgt, die in den Jahren zuvor ihre Häuser verloren hatten und in Notunterkünften gelebt hatten.

Am Mittwoch abend kam es im Zentrum von Caracas zu Auseinandersetzungen zwischen oppositionellen Demonstranten und der Nationalgarde. Die Teilnehmer des nicht angemeldeten Umzugs, die sich an der Metrostation Bello Monte versammelt hatten, wollten zum Gebäude des Nationalen Wahlrats (CNE), der obersten Wahlbehörde des Landes, ziehen. In mehreren Reihen aufgezogene Sicherheitskräfte verhinderten das. Als eine Gruppe von Demonstranten versuchte, die Absperrungen gewaltsam zu durchbrechen, setzten die Beamten Tränengas ein. Davon wurde auch der oppositionelle frühere Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles Radonski in Mitleidenschaft gezogen.

Die Regierungsgegner werfen dem CNE vor, durch eine Verzögerungstaktik die Durchführung eines Amtsenthebungsreferendums gegen Maduro noch in diesem Jahr verhindern zu wollen. Die Behörde verweist dagegen auf die einzuhaltenden Regularien, die seit Dezember 2007 gelten. Der Zeitpunkt der Abstimmung ist entscheidend, denn falls sie erst 2017 stattfindet, gäbe es nach den Bestimmungen der Verfassung keine vorgezogenen Neuwahlen. Statt dessen würde der Vizepräsident die Amtsgeschäfte bis zum regulären Termin der nächsten Präsidentschaftswahlen 2019 weiterführen.

Erschienen am 13. Mai 2016 in der Tageszeitung junge Welt