Interview mit Cyril Bommel: »Der Kabelbinder wurde nach vier Stunden gelöst«

Cyril Bommel ist Sekretär der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Augsburg

Sie sind am Sonnabend mit einem von ver.di organisierten Bus von Augsburg nach Stuttgart gefahren, um gegen den Parteitag der »Alternative für Deutschland«, AfD, zu protestieren. Doch an der Demonstration konnten Sie gar nicht erst teilnehmen. Was ist passiert?

Wir sind in Stuttgart aus unserem Bus ausgestiegen und sahen etwa 100 Meter entfernt auf einer Kreuzung eine Ansammlung von Menschen. Es war klar, dass diese Leute gegen die AfD protestieren wollten, also haben wir uns zu ihnen gesellt. Von der Gruppe ging definitiv keine Gewalt aus, trotzdem wurden wir nach zehn Minuten von der Polizei eingekesselt, und jeder Mensch in diesem Kessel wurde verhaftet. Man muss sich das einmal vorstellen: 400 Menschen wurden einfach so, ohne Begründung festgenommen und wie Vieh in Busse geprügelt.

Wie wurden Sie behandelt?

Gleich zu Beginn der Festnahme wurden mir die Arme verdreht und mir wurde in den Bauch geschlagen. Danach hat mir ein Polizist gesagt, dass er mir die Zähne einschlägt, wenn ich mich nicht benehme. Mir wurden die Hände mit einem Kabelbinder auf dem Rücken zusammengebunden und abgeschnürt. Der Kabelbinder wurde erst nach vier Stunden wieder gelöst.

In der Gefangenensammelstelle, der Gesa, herrschte Chaos. Die Gesa war einfach eine umfunktionierte Messehalle mit Käfigen aus Bauzäunen und jeweils einer Dixi-Toilette in der Mitte. Hier wurden wir mehr als acht Stunden festgehalten, bevor uns überhaupt jemand mitteilen konnte, was genau uns vorgeworfen wird. Später stellte sich heraus, dass wir »versuchten Landfriedensbruch« begangen haben sollen.

Ein Polizist fand es ziemlich lustig, seinen Kollegen lautstark davon zu erzählen, wie gern er mit seinem Schlagstock auf die Gefangenen einprügeln würde. Nach neun Stunden begann die Polizei, unsere Personalien aufzunehmen. Anschließend wurden wir mit dem Bus an einen S-Bahnhof weit außerhalb Stuttgarts gebracht. Sie drohten uns, alle noch Inhaftierten über Nacht einzubehalten, falls wir auf das Messegelände, wo der AfD-Parteitag stattfand, zurückkämen.

Wie geht es nach dieser Erfahrung nun weiter?

Natürlich war das Ereignis ein herber Schlag für mein Vertrauen in die Demokratie in Deutschland. Aber ich denke, dass gerade jetzt ein entschlossener, gesellschaftlich breit verankerter Widerstand gegen die autoritären und menschenfeindlichen Tendenzen in unserer Gesellschaft wichtiger ist denn je. Deswegen werde ich auch weiterhin für eine solidarische Perspektive und gegen Rassismus in all seinen Schattierungen aufstehen und mir dieses Recht auch nicht vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und seiner Prügelpolizei nehmen lassen.

Aber die Umstände in Bayern, wo Sie herkommen, sind ja auch nicht besser, oder?

Natürlich tut sich die bayerische Polizei auch oft recht schwer mit der Demonstrationsfreiheit und nimmt es auch nicht so genau mit der Verhältnismäßigkeit. Aber so etwas wie am Samstag habe ich noch nie erlebt. Die einfachen Polizisten waren genauso unfreundlich wie die bayrischen, aber das kenne ich ja schon. Neu für mich war die Dimension des Ganzen. In Bayern wurde ich noch nie zusammen mit hunderten Menschen verhaftet – und das war geplant, sonst hätte die Polizei nicht eine ganze Messehalle zu einem Gefängnis umgebaut. Ich denke, dass diese Unverhältnismäßigkeit Teil der festgelegten Strategie war, um den Bundesparteitag der rassistischen AfD ungestört ablaufen zu lassen. Es entzieht sich aber meinem Verständnis, wie eine solche Partei, die durch ihre Hetze eine sehr große Mitverantwortung für die überall in Deutschland brennenden Asylbewerberheime trägt, die sich durch die Leugnung des Klimawandels hervortut und die ganz eindeutig demokratiefeindliche und rechtsradikale Funktionäre duldet, einen solch gewalttätigen Einsatz rechtfertigt. Ist es wirklich zielführend, demokratischen Menschen zugunsten einer undemokratischen Partei ihre Grundrechte zu entziehen?

Richten sich Ihre Proteste auch gegen das geplante bayerische Integrationsgesetz?

Natürlich, denn es ist beängstigend, wie Ministerpräsident Horst Seehofer und seine CSU aus purem Machterhaltungstrieb zu einer besseren, noch populistischeren AfD in schwarz werden. Eine rassistische Initiative wie die zum Integrationsgesetz hechelt jedem nach rechts abgedrifteten »besorgten Bürger« nach und gibt den Leuten, die Asylunterkünfte anzünden, insgeheim recht. Ganz zu schweigen davon, das Passagen des Gesetzesentwurfs an die Rassengesetzgebung der Nazis erinnern.

Erschienen am 3. Mai 2016 in der Tageszeitung junge Welt