Inszenierung

Die Inszenierung läuft ganz nach Drehbuch. Nur wenige Tage vor Beginn des NATO-Gipfeltreffens in Newport häufen sich die von den staatstragenden Medien praktisch nicht mehr hinterfragten Meldungen über russische Militäraktionen in der Ostukraine. Belegt werden diese mit Versicherungen der Machthaber in Kiew – die damit von ihrem eigenen militärischen Scheitern im Donbass abzulenken versuchen – und mit unscharfen Satellitenfotos, die alles und nichts zeigen können. Dafür wird die Rhetorik immer aggressiver. Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite schäumte am Sonnabend, Rußland sei »praktisch im Krieg mit Europa«, ihr ukrainischer Amtskollege Petro Poroschenko redete von einem »umfassenden Krieg«. Der ukrainische Sicherheitsrat teilte über Twitter mit, Rußland setze die »direkte militärische Aggression gegen die Ostukraine« fort.

 

Trotz des Geheules: Tatsächlich greifbar sind andere Dinge. Offenkundig will die NATO bei ihrem Gipfeltreffen am Donnerstag und Freitag eine massive Aufrüstung und Truppenkonzentration an der Grenze zur Russischen Föderation beschließen. Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtete, sind Militärstützpunkte, Rüstungsdepots und eine schnelle Eingreiftruppe mit 4000 Mann geplant. Regelmäßige Manöver sollen »die Verteidigung gegen russische Angriffe« trainieren. Besonders eifrige NATO-Mitglieder wie Polen schreien sogar danach, die Abkommen über eine Zusammenarbeit zwischen dem Nordatlantikpakt und Moskau komplett zu kündigen. Darin enthaltene Beschränkungen für die NATO-Truppenpräsenz in Osteuropa waren für den Westen in den neunziger Jahren zeitweilig opportun, als er Rußland unter dem Alkoholiker Boris Jelzin nicht mehr ernst zu nehmen brauchte. Doch inzwischen klingen die Töne wieder altvertraut.

»Wir wollen doch keine Konfrontation. Wir wollen Zusammenarbeit. Wir lassen jedermann und jede Nation und jedes Volk in Frieden leben. Was wir allerdings wollen, auch für unser Volk, ist, daß man uns in Frieden leben läßt.« Und weiter: »Zum zweiten steht die Handlungsfähigkeit des Atlantischen Bündnisses auf dem Spiel. Ein Bündnis, das seine eigenen existenzwichtigen Entscheidungen nicht mehr durchsetzen kann, hat keine Zukunft.«

So könnte es auf dem bevorstehenden Gipfeltreffen heißen. Tatsächlich aber stammen diese Zitate aus einer Rede des damaligen Bundesverteidigungsministers Manfred Wörner am 22. November 1983 im Bundestag. Im Anschluß an die Debatte beschlossen die Abgeordneten mehrheitlich die Stationierung von Pershing-II- und Cruise-Missile-Atomraketen in der Bundesrepublik – gegen die Proteste von Millionen Menschen, die immer wieder gegen den drohenden Atomkrieg auf die Straße gingen. »Die demonstrieren, wir regieren«, hatte dafür der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl nur Spott übrig. Aber »wir« sind ja schon immer die Demokraten gewesen – gegen den immer schon drohenden russischen Bären.

Erschienen am 1. September 2014 in der Tageszeitung junge Welt