junge Welt, 21. Mai 2011

¡No Pasarán!

junge Welt, 21. Mai 2011Die spanische Demokratiebewegung will ein für das gesamte Wochenende verhängtes Demonstrationsverbot ignorieren und ihre Proteste fortsetzen. Am Donnerstag abend hatte die Junta Electoral Central, die oberste Wahlbehörde des Landes, verfügt, daß in der sogenannten Ruhezeit vor den am Sonntag stattfindenden Kommunal- und Regionalwahlen keine Demonstrationen und Kundgebungen stattfinden dürfen. Damit widersprach die Zentralbehörde anderslautenden Entscheidungen regionaler Behörden, die in den vergangenen Tagen teilweise Kundgebungen genehmigt hatten, während in Madrid und anderen Städten Verbote verhängt wurden. Bereits diese waren von Zehntausenden Menschen durchbrochen worden.

Die linke Opposition kritisierte die Behinderung der Proteste scharf. Der Europaparlamentarier der Vereinigten Linken (IU), Willy Meyer, sprach von einem »versteckten Ausnahmezustand«, den die Wahlbehörde mit ihrer Entscheidung verhängt habe. Bei den Protesten handele es sich nicht um Wahlveranstaltungen, sondern um die Demonstration von Unzufriedenheit und Empörung der spanischen Bevölkerung angesichts ihrer sozialen Situation und der undemokratischen Entwicklung im Land. IU-Chefkoordinator Cayo Lara schlug vor, am Sonntag auch die katholischen Messen zu verbieten, denn diese könnten ebenfalls auf die Wahlentscheidung der Gläubigen Einfluß nehmen. Seine Organisation reichte am Freitag beim Obersten Gerichtshof Klage gegen das Verbot ein. Eine Entscheidung lag bis jW-Redaktionsschluß nicht vor. Das spanische Verfassungsgericht hatte in der Vergangenheit mehrfach Demonstrationsverbote vor Wahlen für unrechtmäßig erklärt, dies jedoch immer erst im nachhinein getan.

Unter den Demonstranten wurde deshalb am Freitag eifrig diskutiert, wie das Verbot umgangen werden kann. In Madrid kündigten die an der Puerta del Sol im Zentrum der spanischen Hauptstadt ausharrenden Menschen an, kurz nach Mitternacht – dem Beginn des Verbotszeitraums – gegen die Entscheidung der Behörde zu protestieren. Die Teilnehmer sollten mit Mundbinden die Verletzung der Meinungsfreiheit symbolisieren. Auf ein Megaphonsignal um 0.05 Uhr hin sollten dann alle die Knebel abnehmen und einen »stummen Schrei in den Himmel« ausbringen.

Ein von Tausenden Menschen besuchtes Plenum der Protestierenden hatte am Freitag mittag beschlossen, trotz des Verbots am Sonnabend zu demonstrieren. Sprecher der Bewegung erklärten daraufhin, es gäbe zwar keinen offiziellen Demonstrationsaufruf, es werde aber schwer sein, »die Leute daran zu hindern, zur Puerta del Sol zu kommen«.

Die spanische Regierung ließ zunächst offen, ob sie das Demonstrationsverbot durchsetzen werde. Während Ministerpräsident Zapatero sich überzeugt zeigte, daß die Behörden »klug, gut und richtig handeln« würden, erklärte Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba, die Polizei werde »das Gesetz durchsetzen«. Er vermied jedoch eine konkrete Aussage, ob dies eine Räumung der Plätze bedeute. Die katalanische Regierung kündigte hingegen indirekt an, die Plaça Catalunya im Zentrum Barcelonas und andere Protestcamps in der autonomen Region nur dann zu räumen, wenn es dort zu Zwischenfälle kommen sollte.

Erschienen am 21. Mai 2011 in der Tageszeitung junge Welt