Maduro will in die Offensive

Ein halbes Jahr nach der Präsidentschaftswahl will Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro reinen Tisch mit Korruption und Wirtschaftssabotage machen. Dazu beantragte er am Dienstag abend (Ortszeit) auf ein Jahr befristete Sondervollmachten. »Nun kommt die totale Offensive der Revolution«, kündigte Maduro in seiner von allen Rundfunk- und Fernsehsendern des Landes übertragenen Ansprache vor den Abgeordneten der Nationalversammlung an. Eine grundsätzliche Veränderung der Machtbeziehungen in Venezuela sei unverzichtbar, um die 1999 eingeleiteten »radikalen und revolutionären Veränderungen fortzusetzen und zu beschleunigen«. Dazu müßten Korruption und Bürokratismus überwunden werden. Das gelte, so der Staatschef ausdrücklich, nicht nur für Fälle von Oppositionsvertretern, sondern auch bei Leuten »mit rotem Halstuch«. Nur so lasse sich ein Scheitern der von Hugo Chávez eingeleiteten Bolivarischen Revolution verhinderen.

 

Grundlage für die Sondervollmachten ist Artikel 203 der venezolanischen Verfassung. In diesem heißt es, das Parlament könne mit einer Dreifünftelmehrheit dem Präsidenten für eine bestimmte Frist zusätzliche Kompetenzbereiche übertragen. In diesen kann der Staatschef dann per Dekret Gesetze erlassen. Die Befugnisse des Parlaments oder der Gerichte werden nicht eingeschränkt: die Abgeordneten und Richter können entsprechend den für sie geltenden Verfahren alle Dekrete des Präsidenten wieder aufheben. Auch durch eine Volksabstimmung könnten Entscheidungen des Staatschefs annulliert werden.

Zur Verabschiedung des »Ley Habilitante« sind zwei Lesungen im Parlament vorgesehen, bei denen mindestens 99 Abgeordnete für die Sondervollmachten stimmen müssen. Das Regierungslager verfügt im Parlament jedoch nur über 98 Stimmen. Um diese Zahl zu sichern, kehrte der Abgeordnete Adel el Zabayar eigens nach Caracas zurück. Vor mehreren Wochen hatte er sich beurlauben lassen, um sich in Syrien, von wo seine Familie stammt, den Regierungstruppen anzuschließen. Er wolle seine Heimat gegen die Söldner des Imperialismus verteidigen, hatte Ende August seine Assistentin Doris Bautista mitgeteilt. Am Dienstag überreichte er Maduro nun einen aus Syrien mitgebrachten Olivenzweig als Symbol des Friedens. Spekuliert wird in Venezuela aber weiter darüber, wer der »Abgeordnete Nr. 99« sein wird, also welcher Oppositionsvertreter für den Antrag des Regierungschefs stimmen könnte. Dessen sozialistische Fraktion zeigt sich siegessicher, man werde eine dreistellige Zahl von Ja-Stimmen erreichen, erklärten deren Sprecher. Wer gegen die Sondervollmachten stimme, votiere für Korruption und Sabotage. Auch im Oppositionslager geht man davon aus, daß es Abweichler aus den eigenen Reihen geben wird. Die endgültige Entscheidung fällt innerhalb der kommenden zwei Wochen.

Venezuela leidet seit Monaten unter dem Fehlen bestimmter Waren des täglichen Bedarfs. Die Regierung versucht, durch Importe gegenzusteuern, doch kaum ist ein Mangel beseitigt, verschwinden andere Güter aus den Regalen. Der Staat habe nicht verhindern können, daß »wenige Hände« die Importe Venezuelas kontrollierten, räumte Maduro ein. »Der Staat hat nicht die notwendige Effizienz erreicht, um denen die Wege zu verschließen, die durch Spekulation und den Wiederverkauf von Devisen vom ›billigen Dollar‹ leben«, so der Staatschef weiter. Scharf kritisierte er auch die Währungskontrollbehörde ­CADIVI, die für die Zuteilung ausländischen Geldes an Unternehmen und Einzelpersonen zuständig ist. Unter Hugo Chávez war 2003 in Venezuela eine Währungskontrolle eingeführt worden, um Kapitalflucht zu verhindern. Seither müssen Geschäftsleute und Reisende, die ausländisches Geld brauchen, bei der Behörde eine Zuteilung beantragen. Der Wechselkurs ist staatlich festgelegt, Unternehmen in bestimmten Bereichen erhalten jedoch teilweise günstigere Kurse als andere. Das eröffnet einigen die Chance, Geld bei CADIVI günstig zu wechseln und dann gewinnbringend weiterzuverkaufen. Die Beamten hätten so einen »Cadivismus« zugelassen, durch den bestimmte Leute Gewinne machen könnten, ohne dafür produzieren zu müssen, kritisierte Maduro. Auch diesen Praktiken wolle er per Dekret einen Riegel vorschieben.

Erschienen am 10. Oktober 2013 in der Tageszeitung junge Welt