In Caracas begann eine neue Etappe – Ein notwendiger Nachtrag zu den Weltfestspielen

Fast alle der 200 Delegierten aus Deutschland, die an den 16. Weltfestspielen der Jugend und Studierenden in Caracas teilgenommen haben, sind wieder zu Hause. Nur diejenigen, die das Glück hatten, noch etwas Urlaub anhängen zu können, touren noch durch Südamerika. Für die anderen hat die Zeit der Auswertung begonnen. Berge von Papier sind auszuwerten, Erinnerungen und Eindrücke zu notieren, Plakate für die Wand im eigenen Zimmer auszuwählen, die nächste Reise zu planen.

Ausnahmslos alle, mit denen ich gesprochen habe, waren von diesem Festival begeistert. Besonders diejenigen, die vor vier Jahren bereits an den 15. Weltfestspielen in Algier teilgenommen hatten, konnten den qualitativen Sprung einschätzen, den das Festival diesmal genommen hat. Hatten die Gastgeber damals kein Interesse am politischen Programm und wollten die Delegierten in erster Linie ruhig stellen und an den Strand verfrachten, wurden diesmal politische Beteiligung und Positionen regelrecht eingefordert. Venezuela wollte seinen revolutionären Prozess darstellen und diskutieren – und das gelang. Die Errungenschaften und Erfolge des revolutionären Prozesses waren erlebbar und wurden zum Beispiel bei Besuchen der verschiedenen sozialen Missionen präsentiert. Aber auch die großen Probleme, die das Land noch hat, blieben den Delegierten nicht verborgen. Es war eben nicht bloß ein spontaner Einfall des Präsidenten Chávez, als dieser Anfang des Jahres die Bürokratie zum Hauptfeind der Bolivarianischen Revolution erklärt hatte. Der Amtsschimmel zieht sich durch alle Ebenen, und manchmal war es verdammt schwer zu unterscheiden, ob objektive Probleme, organisatorische Fehler oder bewusste Sabotage die Ursachen für Schwierigkeiten waren. Genossen der Kommunistischen Jugend, die sich seit zwei Jahren aktiv in der Vorbereitung und Durchführung des Festivals engagiert hatten, verwiesen auch auf die massive Hetze, die in den oppositionellen Medien gegen die Weltfestspiele entfesselt worden war und erklärten, dass auch in den Verwaltungen viele Beamte kein Interesse an einer großen Demonstration der Jugend der Welt hatten. Immerhin hat Caracas mit Juan Barreto erst seit November vergangenen Jahres einen Oberbürgermeister, der den von Präsident Chávez angeführten Prozess unterstützt und nicht bremst.

Querschüsse

Auch die am eigentlichen Anfangstag der Weltfestspiele, dem 7. August, stattfindenden Kommunalwahlen stellten die Organisatoren vor allem sicherheitstechnisch vor enorme Herausforderungen. Es war für die in der eine Autostunde von Caracas entfernten "Villa Miranda" untergebrachten Delegierten zwar unangenehm, an diesem Tag das Festival-Dorf nur unter Schwierigkeiten verlassen zu können, aber wie viel problematischer wäre es geworden, wenn Delegierte in gewaltsame Auseinandersetzungen verwickelt worden wären, die im Rahmen der Wahlen befürchtet worden waren. Gleichzeitig war in den Tageszeitungen von Überfällen berichtet worden, deren Opfer Weltfestspiele-Delegierte aus Skandinavien geworden waren. Diesen waren offenbar gezielt Fallen gestellt worden, und es ließ sich nicht sofort aufklären, ob es sich um "normale" Kriminelle gehandelt hatte, oder ob durch solche Übergriffe Unruhe und Panik unter den Gästen aus 144 Ländern verursacht werden sollte.

Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass einige Teilnehmer am Festival nun im Internet ihren Frust verbreiten. Da wird davon gesprochen, das Festival sei von der venezolanischen Regierung "entführt" worden, um ihre Propaganda zu verbreiten. "Entführt"? Habt ihr denn die Tausenden nicht gesehen, die sowohl die Eröffnungsveranstaltung in Fuerte Tiuna als auch das Antiimperialistische Tribunal und die Abschlussveranstaltung im Poliedro zu großen Demonstrationen der Solidarität mit der Bolivarianischen Revolution gemacht haben? Habt ihr nicht miterlebt, wie der Ruf "Uh! Ah! Chávez no se va" Jugendliche aus aller Welt vereinte? Glaubt ihr, sie hätten sich "entführen" lassen?

Entführt, und zwar im wörtlichen Sinne, wurden offenbar bis zu 30 Jugendliche aus Kolumbien, die bei ihrer Rückkehr von kolumbianischen Grenztruppen verhaftet und verschleppt wurden. Von viertausend Jugendlichen aus Venezuelas Nachbarland, die sich auf den Weg zum Festival gemacht hatten, war ein Viertel gar nicht erst angekommen. Angebliche Probleme mit den Pässen und andere Schikanen an der Grenze sorgten dafür, dass Reisebusse aus Kolumbien, die vollbesetzt abgefahren waren, manchmal mit weniger als einem Dutzend Passagieren in Caracas ankamen. Doch die, die in Caracas angekommen waren, verbreiteten ausgelassene Freude. Für sie ist Venezuela eine Wirklichkeit gewordene Alternative zum schmutzigen Krieg gegen jede Opposition in ihrem Heimatland, zum blutigen Terror der Paramilitärs und zur unsozialen Politik der Regierung von Álvaro Uribe. Weltfestspiele in Venezuela hieß für sie eine oder zwei Wochen Erholung, einige Tage lang ohne Angst ihre Fahnen zeigen, ihre Parolen rufen zu können. Eine junge Delegierte aus Deutschland, die Teilnehmer aus Kolumbien kennen gelernt hatte, erzählte, wie ihre neuen Freunde immer nervöser wurden, je näher der Tag der Abreise rückte. Schließlich kehrten die meisten kolumbianischen Delegierten in großen Konvois zurück, begleitet von Medien aus Venezuela und Kolumbien, um durch größtmögliche Öffentlichkeit wenigstens ein Mindestmaß an Sicherheit zu gewährleisten. Sie kamen vom Treffen der Jugend der Welt, aber in den rechten Medien ihres Heimatlandes wurden sie als Teilnehmer an einem "Ausbildungslager der Guerilla" dargestellt.

Alles "Kubaner"?

Caracas war die Hauptstadt der Jugend der Welt – nicht nur für die Anhänger eines Glaubens. Da konnte Tania d´Amelo, Vizepräsidentin des venezolanischen Vorbereitungskomitees und jüngste Abgeordnete der Nationalversammlung, dem "allmächtigen Herrgott" dafür danken, dass das Festival ein solcher Erfolg geworden war, und erhielt dafür Applaus auch von Jugendlichen, die mit den Fahnen der Kommunistischen Jugend Argentiniens gekommen waren. Eine in Caracas lebende Freundin erzählte mir, wie sie dem Telefoninstallateur, der in der Festival-Woche zufällig bei ihr zu tun hatte, ein paar Brocken Englisch und Deutsch beibringen musste, weil ihm auf der Straße so viele Jugendliche aus aller Welt begegneten, mit denen er so gerne sprechen wollte. Delegierten wurden in der Metro von ganz normalen Passagieren Sitzplätze angeboten, wenn sie als Teilnehmer der Weltfestspiele erkannt wurden. Das Fernsehprogramm der staatlichen Kanäle geriet völlig durcheinander, weil viel zu viele Veranstaltungen es wert gewesen wären, direkt übertragen zu werden. Dagegen kamen auch die Privatsender nicht an, die erfolglos versuchten, alle Teilnehmer als "Kubaner" darzustellen, die von Fidel Castro und Hugo Chávez "manipuliert" worden seien. Es überstieg die Vorstellungskraft der "Globovisión"-Moderatoren, dass ein 12-jähriger kubanischer Junge in der Lage sein sollte, engagiert über Kinderarmut in der Welt zu sprechen.

Die Herren dieser Sender müssen umdenken. Früher wurden sie von den Regierenden mit Ministerposten und Geschenken belohnt, wenn sie linke Ideen und Alternativen klein und dafür die bürgerlichen Parteien groß schrieben. Heute werden sie am Wahrheitsgehalt ihrer Sendungen gemessen. Heute kriegen sie Widerspruch zu hören, wenn sie Lügen in die Welt setzen. Aber nicht nur das. Die Herren dieser Sender, denen auch noch viele der großen venezolanischen Unternehmen gehören – zum Beispiel der Getränkeproduzent "Polar" -, erkennen allmählich ihr Land nicht wieder. Bis vor wenigen Jahren war es einfach undenkbar, dass die Kommunistische Partei in der Hauptstadt Caracas bei Kommunalwahlen die zweitmeisten Stimmen erringen könnte (hinter der von Hugo Chávez gegründeten MVR, aber weit vor allen Oppositionsgruppen und auch den anderen bolivarianischen Organisationen). Früher wäre es keiner Zeitung eingefallen, einen Einzug der KP in die Nationalversammlung bei den Wahlen im kommenden Dezember als "sicher" zu bezeichnen. Und vor allem wäre es bis vor ganz wenigen Jahren kaum vorstellbar gewesen, ein solches internationales Jugendfestival organisieren zu können. Polizei, Nationalgarde und Stadtverwaltung waren in der "gefährlichsten Stadt Lateinamerikas" (so ein Eintrag im Gästebuch von Weltfestspiele.de) in der Lage, die Sicherheit der 17 000 Delegierten und Tausenden freiwilligen Helfer aus 144 Ländern zu gewährleisten. "Gemeinsam bauen wir den Sozialismus auf", begrüßte die Stadtverwaltung von Caracas auf Transparenten die Gäste und unter den Deutschen kursierte die Frage, ob sich jemand einen solchen Gruß von der "Stadtverwaltung Stuttgart" oder dem "Senat Berlins" vorstellen könne.

Eine neue Etappe

Es waren nicht nur sieben Tage Diskussionen, Konzerte, Feiern und Aufführungen. Es war der Beginn einer neuen Etappe für den Weltbund der Demokratischen Jugend (WBDJ). Weder in Kuba 1997 noch in Algerien 2001 war die internationale Jugendorganisation so in die Vorbereitung und Durchführung der Weltfestspiele einbezogen gewesen wie diesmal. Der Vorsitzende des WBDJ, Miguel Madeira, wurde von Hugo Chávez bei der Eröffnungsveranstaltung als "unser Präsident" begrüßt. Der Präsident Venezuelas bot dem WBDJ außerdem eine weitere enge Zusammenarbeit an, so ein ständiges Büro in Caracas. Kuba und Venezuela könnten gemeinsam einiges für die Bildung leisten, aber wie viel mehr wäre möglich, wenn dies gemeinsam mit den im WBDJ zusammengeschlossenen Jugendverbänden aus aller Welt geschehe, sagte Chávez bei einem Treffen mit Vertretern der Jugendverbände und internationalen Delegationen.

"Die Weltfestspiele dürfen morgen nicht zu Ende gehen", forderte Chávez am Vorabend der Abschlussveranstaltung beim Antiimperialistischen Tribunal. Unter den Jubel mischte sich auch Entsetzen. Die Genossinnen und Genossen der Kommunistischen Jugend Venezuelas hatten sich schon auf einige Tage Erholung nach dem Ende des Festivals gefreut, nachdem zwei Jahre und vor allem zwei Wochen harte Arbeit hinter ihnen lagen. Aber auch die Mitglieder der deutschen Delegationsleitung waren am Ende ihrer Kräfte. Über ein Jahr hatten sie im Bundesweiten Vorbereitungskomitee hart für eine große Delegation aus Deutschland gearbeitet. Manche, die in den Monaten vor dem Festival Hunderte von Euros in Telefonate mit Caracas investiert hatten, konnten aus Geldmangel schließlich selbst nicht mitfahren. Und diejenigen, die sich dann auf dem letzten bundesweiten Vorbereitungstreffen in die Delegationsleitung wählen ließen, mussten in Caracas ihren Kopf für alles hinhalten, was nicht sofort klappte. Einige Mitglieder der deutschen Delegation schienen dabei die Weltfestspiele mit einer All-Inclusive-Clubreise verwechselt zu haben und mussten sogar noch darüber aufgeklärt werden, dass die Mitglieder der Delegationsleitung kein Geld für ihre Arbeit bekommen haben. Aber als selbstverständlich wurde oft hingenommen, dass ein Genosse fast eine ganze Woche am Flughafen verbrachte, um die mit zig verschiedenen Flugzeugen in kleinen Gruppen anreisenden deutschen Delegierten in Empfang zu nehmen und zu ihren Bussen zu begleiten. Genauso schien es nicht alle zu interessieren, wie das Programm des Europäischen Clubs entstand. Und wenn die Delegationsleitung selbst über zu wenige Informationen verfügte, wurde ihr unterstellt, den Delegierten etwas zu verschweigen. Dafür konnten sich Leute, die im Vorbereitungsprozess nie gesehen wurden, wunderbar darüber aufregen, wenn jemand nach tagelangem Dauerstress etwas dünnere Nerven zeigte.

Das waren die letztlich zu verschmerzenden Begleiterscheinungen einer neuen Breite, die die deutsche Delegation auszeichnete. Neben der SDAJ, die mit gut 50 Mitgliedern in Venezuela vertreten war, waren es vor allem Jugendliche aus den Gewerkschaften IG Metall und ver.di, die sich als Gruppen im Rahmen der deutschen Delegation formiert hatten. Das Alter reichte von 15-jährigen Schülern, die ihre erste große Auslandsreise ohne die Eltern gleich nach Südamerika führte, bis hin zu Festival-Veteranen Ende 30, Anfang 40. Viele wollen unbedingt wieder nach Venezuela, manche träumen sogar schon vom Auswandern. Aus den Gewerkschaften gibt es Ideen für ein Solidaritätsprojekt. Das Netzwerk Venezuela hofft auch viele neue Engagierte in der Solidaritätsarbeit mit dem bolivarianischen Prozess.

Die 16. Weltfestspiele der Jugend und Studierenden sind Geschichte. Eine neue Etappe der antiimperialistischen Jugendbewegung hat begonnen.

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 2. September 2005