In Bewegung geraten

Zehntausende Menschen haben am Sonntag wieder einmal in zahlreichen Städten Spaniens gegen Sozialabbau, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit demonstriert. Anlaß für die Aktionen war diesmal der zweite Jahrestag der Entstehung der Bewegung der »Empörten«, die auch unter dem Kürzel 15-M bekanntgeworden ist, das sich auf ihr Geburtsdatum bezieht. Am 15. Mai 2011 hatte es in 58 Städten des Landes Demonstrationen gegeben, zu denen die Initiative »Wirkliche Demokratie Jetzt« aufgerufen hatte. Die Beteiligung übertraf alle Erwartungen, die Kundgebungen trafen den Nerv von Millionen, die kein Vertrauen mehr in die Politiker setzten. Vielerorts gingen die Menschen nach dem Ende der Kundgebungen einfach nicht nach Hause, die berühmten Protestcamps entstanden.

 

In der ersten Euphorie hofften viele Aktivisten auf eine »Spanische Revolution«, und die rasant wachsende Zahl der Teilnehmer schien ihnen zunächst recht zu geben. Zwei Jahre später gibt es die Zeltlager nicht mehr. Das Label der »Empörten« ist im Alltag aus dem Fokus der Öffentlichkeit verdrängt worden. Damit geht es diesen nicht anders als den Aktivisten von »Occupy«, die wenige Monate nach den Spaniern den Stab aufgenommen hatten.

Doch es gibt einen Unterschied. Zumindest in Deutschland ist »Occupy« als Bewegung tatsächlich verschwunden. Nur in Hamburg wird noch mühsam ein Camp aufrechterhalten…

In Spanien hat sich die Bewegung hingegen »nicht völlig aufgelöst, sondern gewandelt«, wie die Tageszeitung El Periódico am Montag schrieb: »Sie bildet den Kern machtvoller Proteste, die in den vergangenen Monaten in den Bereichen Gesundheit oder Bildung auf sich aufmerksam gemacht haben.«

Tausende wehren sich in Spanien inzwischen gegen die Zwangsräumungen von Menschen, die die Zinsen ihrer Bankkredite nicht mehr zahlen können, gegen die »Arbeitsmarktreformen« der Regierung, durch die die Jugendarbeitslosigkeit weiter ansteigt, und gegen die Privatisierung der bislang öffentlichen Gesundheitsversorgung. Die »Empörten« sind zudem Teil von Bewegungen geworden, die es schon vor ihnen gab, etwa bei Landbesetzungen in Andalusien oder bei Kampagnen für die Abschaffung der Monarchie, aber auch in Diskussionen um eine größere Selbständigkeit der autonomen Regionen von Madrid.

So bestimmen die »Empörten« zwei Jahre nach ihrem Entstehen inzwischen die politische Tagesordnung in Spanien mit – ohne daß dies unter einem gemeinsamen Label passiert. Auch wenn sie die Machtfrage noch nicht stellen konnten und wohl auf absehbare Zeit auch nicht werden stellen können: In Spanien ist etwas in Bewegung geraten.

Erschienen am 14. Mai 2013 in der Tageszeitung junge Welt