Immer mehr Tote

Die Zahl der am Donnerstag bei dem Versuch, die Grenze zwischen Marokko und der spanischen Kolonie Ceuta zu überwinden, getöteten Menschen (jW berichtete) ist bis Freitag auf mindestens 13 gestiegen, meldete der spanische Rundfunk RTVE. Und noch immer werden mehrere Personen vermißt.

 

Inzwischen verdichten sich die Anzeichen dafür, daß die spanische Guardia Civil direkt mitverantwortlich für die Katastrophe ist. Zunächst hatten die Behörden behauptet, an der Abwehr der Flüchtlinge seien nur marokkanische Sicherheitskräfte beteiligt gewesen. Inzwischen mußte die Regierung jedoch einräumen, daß die spanischen Beamten mit Gummigeschossen und Rauchbomben auf die Fliehenden gefeuert haben. Während Madrid darauf beharrt, daß die Polizisten nur zur Warnung in die Luft geschossen hätten, als sich die Menschen noch an Land befanden, veröffentlichte das Internetportal eldiario.es Aussagen von Überlebenden. So berichtete der aus Kamerun stammende Louis: »An diesem Morgen versuchten wir, 250 Personen, die im Gebirge in Grenznähe leben, den Übergang zu betreten und stießen dabei mit der Polizei zusammen. Sie haben uns nicht durchgelassen, und daraufhin gab es einige Tumulte. Danach sind wir zum Strand gelaufen, und rund 200 von uns sind ins Wasser gesprungen. Die Guardia Civil hat uns aufgehalten, sie hat uns viel stärker attackiert als die marokkanische Polizei. Sie haben Gummigeschosse abgefeuert, die die Reifen zerstört haben, an denen sich einige von uns festhielten. Zudem haben sie Tränengas auf uns abgeschossen.« Ein weiterer Flüchtling wies die Darstellung der spanischen Behörden zurück, man habe so gewaltsam vorgehen müssen, weil sich die Menschen aggressiv verhalten hätten: »Wir kamen mit leeren Händen, wir hatten keine Gegenstände dabei.«

Der Regierungschef von Ceuta, Juan Vivas, wies diese Berichte im Rundfunksender Onda Cero zurück. Zwar seien »Räumungsmittel« eingesetzt worden, um »die Ordnung wiederherzustellen«, aber diese hätten sich »in keinem Fall gegen die Immigranten gerichtet, um ihnen Schaden zuzufügen, sondern sie sollten die Unversehrtheit der Grenze sicherstellen«.

Einem Bericht der rechten Tageszeitung ABC zufolge warten derzeit rund 1000 Menschen an der Grenze zu Ceuta auf marokkanischem Gebiet auf eine Möglichkeit, in das Gebiet der Europäischen Union zu gelangen. Ihre Lage ist verzweifelt: Während die marokkanische Polizei immer wieder gegen die Camps der Flüchtlinge vorgeht und diese in die Wüste treibt, werden die von der EU finanzierten Grenzanlagen immer undurchdringlicher. Zudem hat die Guardia Civil als Reaktion auf die Ereignisse vom Donnerstag die Überwachung der Grenze weiter verschärft, um »einen weiteren Überfall zu verhindern«, wie es im Behördenjargon heißt. Es fehlte auch nicht die Erfolgsmeldung, daß »keiner der Immigranten sein Ziel erreicht hat, nach Ceuta zu kommen«.

Zahlreiche Organisationen und die Oppositionsparteien im spanischen Parlament haben darauf mit Empörung reagiert. So warfen die Flüchtlingsschutzkommission ­CEAR und die Kinderrechtsorganisation ­PRODEIN der spanischen Regierung schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Während die sozialdemokratische PSOE verlangte, Innenminister Jorge Fernandez Díaz solle sich vor dem Parlament rechtfertigen, forderte die Vereinigte Linke (IU) direkt dessen Rücktritt sowie eine internationale Untersuchung des Dramas durch die Vereinten Nationen. »Es ist kein Zufall, daß diese Ereignisse mit der erneuten Massenankunft von Migranten in Lampedusa und an anderen europäischen Grenzen zusammenfallen. Afrika wird verwüstet durch die Ausplünderung seiner Bodenschätze, durch die ungerechten Handelsbeziehungen und durch Kriege und Interventionen, die in einigen Fällen von der Europäischen Union getragen werden. Angesichts dieser Realität beweist die EU ihren egoistischen und verlogenen Charakter. Während sie einen Diskurs des Respekts für die Menschenrechte führt, errichtet sie eine Festung Europa, die nur mit Repression auf die Migra­tion an ihrer Grenze reagiert«, heißt es in der Stellungnahme der IU.

Erschienen am 8. Februar 2014 in der Tageszeitung junge Welt