Im Hungerstreik

Zwei der in Spanien inhaftierten Vertreter der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung verweigern seit dem Wochenende die Nahrungsaufnahme. Der frühere Präsident der Bürgerbewegung »Katalanische Nationalversammlung« (ANC), Jordi Sànchez, sowie Jordi Turull – bis zur Aufhebung der Autonomie Kataloniens im Oktober 2017 Sprecher der Regionalregierung – protestieren mit ihrem Hungerstreik gegen die lange Haftdauer und die schleppende Behandlung ihrer Fälle durch die zuständigen Richter.

Sànchez sitzt seit dem 16. Oktober vergangenen Jahres im Gefängnis, als er zusammen mit dem Chef der Kulturvereinigung Òmnium Cultural, Jordi Cuixart, in Untersuchungshaft genommen wurde. Richterin Carmen Lamela wirft ihnen vor, im September eine Protestaktion in Barcelona geleitet zu haben, während der Polizisten bedrängt worden seien. Turull war am 2. November 2017 zusammen mit sieben weiteren Mitgliedern der katalanischen Regierung nach einer Anhörung in Madrid in Untersuchungshaft genommen worden, weil ihnen die Organisation des am 1. Oktober 2017 trotz Verbots aus Madrid durchgeführten Referendums über die Unabhängigkeit Kataloniens zur Last gelegt wurde. Einen Monat später wurde Turull vorläufig wieder auf freien Fuß gesetzt. Im vergangenen Dezember wurde er in das katalanische Parlament gewählt, am 23. März jedoch erneut inhaftiert.

In einer am Sonnabend veröffentlichten Erklärung prangern Sànchez und Turull insbesondere an, dass die spanische Justiz eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) blockiert. Das erfolge dadurch, dass das spanische Verfassungsgericht zwar alle Beschwerden der Angeklagten zur Behandlung annehme – dann aber keine Entscheidung treffe. Vor Abschluss des innerstaatlichen Instanzenwegs könnten die EU-Organe jedoch nicht eingeschaltet werden. »Ein zeitnaher Zugang zu den Gerichten ohne unnötige Behinderung ist ein Recht, das jeder Mensch hat. Wenn nicht zugelassen wird, dass dieses mit vollen Garantien und zu fairen Bedingungen in Anspruch genommen werden kann, stellt das unsere Grundrechte in Frage.«

Wie die in Barcelona erscheinende Tageszeitung Ara berichtete, reagierten die Verfassungsrichter am Montag mit einer zunächst nicht öffentlich verbreiteten Erklärung auf den Hungerstreik. Darin argumentieren die Juristen, dass sie bei ihren Sitzungen am 28. und 29. November einstimmig die Eingaben zur Behandlung angenommen hätten. Ebenfalls diskutiert werde eine im November veröffentlichte Entscheidung des EGMR im Fall des in der Türkei inhaftierten Abgeordneten Selahattin Demirtas. Die Richter in Strasbourg hatten festgestellt, dass die lange Untersuchungshaft dessen politische Rechte als Parlamentarier verletze. Die Verteidiger der katalanischen Gefangenen sehen Parallelen zu ihren Mandanten, während für die spanischen Verfassungsrichter beide Vorgänge nichts miteinander zu tun haben. Eine Entscheidung werde »entsprechend der Zeitpläne« des Gerichts erfolgen, heißt es aus Madrid. »Die Komplexität dieses Prozesses, in dem Grundrechte und die Analyse von rein strafrechtlichen Fragen zusammenkommen, zwingen das Verfassungsgericht dazu, eine exakte Untersuchung zu entwickeln«, zitierte das Blattt.

Der katalanische Regierungschef Joaquim Torra wies die Argumentation der Madrider Richter am Montag zurück. Nach einem Besuch bei den Hungerstreikenden im Gefängnis sagte er gegenüber Journalisten, die Inhaftierten hätten ihn gebeten, zu ihrer Stimme draußen zu werden, »um gewaltfrei die Ungerechtigkeiten des Verfassungsgerichts in den Mittelpunkt zu stellen«.

Offenbar wollen sich in den nächsten Tagen weitere katalanische Gefangene dem Hungerstreik anschließen. Wie Ara berichtete, kamen am Sonntag Vertreter aller Parteien der Unabhängigkeitsbewegung im belgischen Waterloo zusammen, um eine gemeinsame Strategie zur Unterstützung der Gefangenen zu entwickeln. In Belgien hat der von Madrid im vergangenen Jahr abgesetzte katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont Ende Oktober einen »Rat für die Republik« gebildet, der de facto die Funktion einer Exilregierung übernehmen und den Entwurf einer katalanischen Verfassung ausarbeiten soll.

Erschienen am 4. Dezember 2018 in der Tageszeitung junge Welt