Historisches Datum

Die nach dem Tod von Hugo Chávez in Venezuela notwendigen Präsidentschaftswahlen finden am 14. April statt. Das kündigte die Präsidentin des Nationalen Wahlrats (CNE), Tibisay Lucena, am Sonnabend in Caracas an. Zuvor hatten sich die leitenden Mitglieder ihrer Behörde zu einer langen Arbeitssitzung zusammengefunden, um die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Durchführung der Wahlen abzustimmen. Es wird eine Vorbereitung im Zeitraffer. So können sich Kandidaten nur noch bis zum heutigen Montag beim CNE einschreiben. Der offizielle Wahlkampf dauert nur zehn Tage, vom 2. bis 11. April. Da die Zeit für eine Aktualisierung des Wählerregisters fehlt, wird das bei der letzten Präsidentschaftswahl am 7. Oktober 2012 gültige verwendet, auch die damals benannten Zeugen in den Wahllokalen werden erneut herangezogen.

 

Für das Lager von Chávez wird dessen Vizepräsident Nicolás Maduro kandidieren. Am Freitag abend wurde er nach Abschluß der offiziellen Trauerfeierlichkeiten vor der Nationalversammlung als geschäftsführender Präsident vereidigt. Während an der Zeremonie Delegationen aus 29 Ländern teilnahmen, unter ihnen Ecuadors Staatschef Rafael Correa und der im vergangenen Jahr gestürzte Staatschef von Paraguay, Fernando Lugo, boykottierte die Opposition die Vereidigung. Es habe keinen Grund gegeben, diese Vereidigung außerhalb der normalen Sitzungsperiode des Parlaments durchzuführen und stelle einen Bruch der Verfassung dar, erklärte der Sprecher der Oppositionsfraktion, Ángel Medina. An den Wahlen teilnehmen werden die Regierungsgegner jedoch. Als Kandidat für den »Tisch der demokratischen Einheit« hatten sie bereits in der vergangenen Woche Henrique Capriles Radonski nominiert, der schon im vergangenen Oktober angetreten und gegen Chávez unterlegen vor.

Putschistenfreund

Die Wahlen finden an einem für Venezuela historischen Datum statt. Am 11. April 2002 hatten die rechte Opposition und reaktionäre Militärs gegen Hugo Chávez geputscht. Der Staatsstreich scheiterte an einer Massenrebellion der Bevölkerung, die zu Millionen auf die Straße ging, um die Freilassung ihres entführten Präsidenten zu fordern. Im Verlauf des 13. April besetzten die Angehörigen der Ehrengarde den Regierungspalast Miraflores, setzten einige der Putschisten fest und übergaben die Macht wieder an das gewählte Kabinett. In den frühen Morgenstunden des 14. April 2002 kehrte Hugo Chávez aus der Gefangenschaft zurück. In einem Hubschrauber landete er in Caracas und zeigte sich mit geballter Faust seinen feiernden Anhängern.

Der Wahltermin wird dazu führen, daß sich Capriles in den Tagen vor der Abstimmung erneut seiner damaligen Rolle stellen muß. Er war in den Tages des Putsches Bürgermeister des Hauptstadtbezirks Baruta und bereits einer der bekanntesten Regierungsgegner. In dem seinerzeit von ihm regierten Stadtteil liegt auch das Gebäude der kubanischen Botschaft, die damals von aufgepeitschten Antikommunisten belagert und angegriffen wurde. Capriles stellte sich auf deren Seite und forderte unter Bruch der Immunität vom kubanischen Botschafter Germán Sánchez Otero, die Räumlichkeiten der diplomatischen Vertretung nach »dort versteckten Chavistas« durchsuchen zu dürfen, was von den Kubanern entschieden abgelehnt wurde.

Ehrung für Chávez

16 Länder der Erde hatten in der vergangenen Woche Staatstrauer um Hugo Chávez angeordnet, darunter Argentinien, Belarus, Bolivien, Brasilien, Chile, Kuba, China, Ecuador, Haiti, Iran und Nigeria. An der offiziellen Trauerfeier in der Militärakademie von Caracas, in der Hugo Chávez aufgebahrt wurde, nahmen am Freitag hochrangige Delegationen aus 55 Ländern teil, unter ihnen nicht weniger als 33 Regierungschefs. Sie alle erhoben sich, als das von Gustavo Dudamel geleitete Jugendsymphonieorchester Venezuelas die Nationalhymne intonierte. Der weltberühmte Jungdirigent hielt auch gemeinsam mit Sportlern und anderen Repräsentanten der neuen Generation Ehrenwache am offenen Sarg.

Die eigentliche Ehrung erwies dem Präsidenten jedoch das Volk. Tagelang warteten Hunderttausende Menschen trotz Temperaturen um die 30 Grad in kilometerlangen Warteschlangen auf die Gelegenheit, an dem offenen Sarg vorbeizuziehen und einen letzten Blick auf ihren Comandante zu werfen. Schon am Donnerstag wurde die Zahl der Wartenden mit über zwei Millionen angegeben.

Erlebnisbericht

Unter ihnen war Marianny Rosado aus Caracas, die zwölf Stunden in der Schlange stand, ihre Mutter sogar 25 Stunden – beide konnten nicht bis zum Präsidenten vordringen. Auf Facebook schilderte sie ihre Erlebnisse: »Hunderttausende Menschen, die sich am Eingang des Hofs der Militärakademie drängen. Immer wieder werden die Absperrungen umgerissen, nahezu jede Minute bricht einer oder eine zusammen. Viele schlafen auf dem Boden, nachdem sie aus allen Ecken unseres Landes angereist sind, um den Comandante zu sehen. Sie trotzen Durst und Hunger. Andere haben ihre kleinen Kinder auf dem Arm mitgebracht. Wir sehen die internationalen Delegationen. Die Palästinenser ziehen mit ihrer Fahne in der Hand und dem Ruf ›Chávez lebt, der Kampf geht weiter‹ in die Militärakademie. Die Haitianer, die in Venezuela Medizin studieren. Musiker, die die in den Schlangen Wartenden mit ihren Liedern aufrütteln. Von Lastwagen aus werden die Wartenden mit Trinkwasser versorgt. Teilweise kann das Wasser auch nur über die Menge der Wartenden versprengt werden, damit diese durchhalten können.« Doch von Aufgeben habe keine Rede sein können: »Wir alle haben das Recht, den Comandante, diesen Giganten Amerikas, in dieser Stunde zu begleiten. Wir haben uns dieses Recht mit unserem Schmerz, unserer Arbeit, unserer Treue zur Bolivarischen Revolution erworben.«

In den politischen Diskussionen, die in den Schlangen der Wartenden geführt werden, sei die Idee der Einbalsamierung des Comandante entstanden. Dadurch solle allen dieses Recht garantiert werden.

Erschienen am 11. März 2013 in der Tageszeitung junge Welt