Hetzkampagne

Stolz meldet Venezuelas Opposition, dass sie die für die Einleitung eines Amtsenthebungsreferendums gegen Präsident Nicolás Maduro notwendigen Unterschriften innerhalb weniger Stunden gesammelt habe. Das mag durchaus sein, denn die Unzufriedenheit mit der Politik der Regierung ist vorhanden – und Venezuelas Verfassung, die von derselben Opposition jahrelang attackiert wurde, sieht (im Gegensatz zum deutschen Grundgesetz) Möglichkeiten vor, gewählte Volksvertreter vor Ablauf ihrer Amtszeit abzusetzen. Wenn genügend der jetzt gesammelten Unterschriften gültig sind, müssen die Regierungsgegner in einem zweiten Schritt die Unterstützung von 20 Prozent der Wahlberechtigten nachweisen. Sollte das gelingen, kommt es zum Referendum, bei dem sie mehr Menschen gegen Maduro mobilisieren müssen, als diesen 2013 gewählt haben: 7.587.579 Personen.

Es gibt also den Rahmen für eine demokratische Auseinandersetzung. Trotzdem besteht die Gefahr eines Staatsstreichs. Die gewaltsamen Ausschreitungen bei Demonstrationen der Regierungsgegner in den vergangenen Tagen belegen, dass Teile des rechten Lagers bis heute eine Strategie verfolgen, die der vom April 2002 ähnelt. Damals war Präsident Hugo Chávez vom Militär abgesetzt und auf einer Insel festgehalten worden. Der Spuk dauerte nur wenige Stunden, denn Millionen Menschen gingen gegen den Staatsstreich auf die Straße und erzwangen am 13. April 2002 die Rückkehr von Chávez in das Präsidentenamt. Einige derjenigen, die damals aktiv an dem Putsch beteiligt waren, gehören heute noch zu den führenden Persönlichkeiten der Opposition.

Vor dem damaligen Staatsstreich hatte es eine internationale Hetzkampagne gegen Hugo Chávez gegeben, die sich kaum von der jetzt gegen dessen Nachfolger Nicolás Maduro laufenden unterscheidet. Ein Land, »in dem langsam die Lichter ausgehen«, nannten die ARD-»Tagesthemen« Venezuela am Donnerstag abend – und machten Korruption und Misswirtschaft als Ursachen aus: »Der von Hugo Chávez ausgerufene Sozialismus des XXI. Jahrhunderts ist gescheitert«, behauptete Moderator Thomas Roth. Nur am Rande erfuhren die Zuschauer, dass Venezuela unter der schwersten Dürre seit 50 Jahren leidet, die Stauseen deshalb ausgetrocknet sind und somit die Energiegewinnung stockt. Aus diesem Grund greift die Regierung zu teilweise hilflos anmutenden Maßnahmen wie der Verkürzung der Öffnungszeit von Behörden oder einer am 1. Mai in Kraft tretenden Zeitumstellung, durch die das Tageslicht besser ausgenutzt werden soll. Bessere Antworten hat die rechte Opposition jedoch auch nicht zu bieten. Die Forderung des linken Flügels des bolivarischen Lagers in Venezuela lautet dagegen, wieder zu einem revolutionären Kurs zurückzukehren und den radikalen Reden endlich Maßnahmen folgen zu lassen, die sich gegen die privaten Handels- und Finanzkonzerne richten. Bisher schreckt Maduro davor zurück – und den Beifall der ARD würde er mit einer sozialistischen Politik wohl kaum erhalten.

Erschienen am 30. April 2016 in der Tageszeitung junge Welt