Haßparolen in Caracas

Die Kraftprobe findet auf der Straße statt. Jeden Tag rufen die Wahlkampfstäbe von Nicolás Maduro und von Henrique Capriles Radonski in Venezuela ihre Anhänger zu Großkundgebungen auf, um für die Präsidentschaftswahl am 14. April zu mobilisieren. Am Sonntag versammelten sich Zehntausende Unterstützer der Opposition auf der Avenida Bolívar im Zentrum der Hauptstadt Caracas. »Es waren dort etwas mehr Menschen als im letzten Wahlkampf im Oktober«, sagte im Gespräch mit jW eine Einwohnerin von Caracas, die das Spektakel vor Ort erlebte. »Wenn ich mir aber ansehe, was für Leute sich dort versammelt haben, dann weiß ich, daß in Venezuela ein echter Klassenkampf stattfindet.« Es seien fast ausschließlich Angehörige der Oberschicht und des Mittelstandes dort gewesen, um ihrem Idol Capriles zuzujubeln. Ärmere, dunkelhäutige Menschen habe sie hingegen kaum gesehen.

 

Während Capriles bei der Kundgebung sein bereits bekanntes Programm abspulte, demolierten seine Anhänger Teile einer Baustelle, auf der gerade ein Wohnhaus errichtet wird. Sie rissen die Absperrungen ein und stürmten den Rohbau. Das Gebäude ist Teil des von der venezolanischen Regierung betriebenen Wohnungsbauprogramms »Gran Misión Vivienda«, in dessen Rahmen mehrere Millionen Appartements für Familien errichtet werden, die bislang in Elendsbehausungen wohnen müssen. Wie alle Sozialprogramme wird auch dieses von der Opposition bekämpft. Bei ihrem Abzug hinterließen die Regierungsgegner dort Schmierereien an den Wänden, in denen der Tod von Hugo Chávez bejubelt wurde: »Es lebe der Krebs«. Nicolás Maduro, der Kandidat des Regierungslagers, zeigte sich darüber empört. Capriles habe am Sonntag eine »Überdosis Haß« verbreitet, »aber schlafen Sie ruhig, Comandante, denn dieses Volk wird sich von solchem Haß nicht provozieren lassen«, wandte er sich symbolisch an Chávez.

Unterdessen tourt Maduro weiter durch Venezuela. Zwei oder drei Auftritte bei großen Kundgebungen in den verschiedenen Regionen des Landes sind keine Seltenheit. So versammelten sich am Montag abend Hunderttausende Menschen in Porlamar auf der als Urlaubsparadies bekannten Insel Margarita. Mit traditioneller venezolanischer Musik, Wahlkampfsongs und Sprechchören riefen sie dazu auf, die Bolivarische Revolution fortzusetzen.

Am morgigen Donnerstag wollen die Anhänger Maduros im Zentrum von Caracas ihren Wahlkampf abschließen. Ziel ist dabei, nicht nur die Avenida Bolívar zu füllen, sondern auch die umliegenden sechs großen Verkehrswege. Das war erstmals Hugo Chávez am 4. Oktober vergangenen Jahres gelungen, als sich trotz strömenden Regens Hunderttausende Menschen in der Innenstadt versammelten. Deshalb soll die Kundgebung auch eine weitere Ehrung für den am 5. März verstorbenen Präsidenten sein, dessen Bild im Regenguß in der Zeit der großen Trauer noch einmal allgegenwärtig gewesen war.

In diesem Wahlkampf fehlt den Oppositionellen offensichtlich der Glaube daran, daß ihr Kandidat tatsächlich gewinnen kann. Im Vorfeld der Abstimmung am 7. Oktober, bei der Capriles gegen Hugo Chávez angetreten war, hatte unter den Regierungsgegnern absolute Siegesgewißheit geherrscht, obwohl die Meinungsumfragen auch damals eine klare Mehrheit für den Comandante prognostiziert hatten. Schon Tage vorher hatten sie den vermeintlich bevorstehenden Sieg gefeiert – um am Morgen nach der Wahl verkatert zu erwachen. Chávez gewann die Wahl mit mehr als 55 Prozent gegen die Opposition.

Auch diesmal sagen alle Meinungsforschungsinstitute einen klaren Sieg von Chávez’ Nachfolger Nicolás Maduro voraus. Den Umfragen zufolge gehen auch mehr als 60 Prozent der Befragten von einem Sieg Maduros aus, nur etwa ein Fünftel glaubt an einen Erfolg von Capriles.

Erschienen am 10. April 2013 in der Tageszeitung junge Welt