Harte Reformen

Ein beliebter Stehsatz in den Berichten über Venezuela ist dieser Tage die Bemerkung, dem venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro fehle es an der staatsmännischen Klasse seines Vorgängers Hugo Chávez. Eine solche war Chávez selbst zu Lebzeiten allerdings von denselben Medien kaum attestiert worden, er wurde eher als »Populist« und »Diktator« tituliert. Das ist nun vergessen, denn die in Venezuela und weltweit vorhandenen Sympathien für den 2013 verstorbenen Chávez sollen dazu dienen, Front gegen Maduro zu machen. Das reicht dann bis zu einer »sozialistischen Tageszeitung«, in der sich »kritische Chavisten« seitenlang über die Untaten Maduros ausbreiten dürfen.

Hildegard Stausberg kann man einen solchen Erinnerungsverlust nicht vorwerfen. Die antikommunistische Dampfwalze des Springer-Verlags ist sich in den vergangenen Jahren treu geblieben, wenn es gegen die Linke in Lateinamerika ging. Chávez war für sie immer ein »Despot«, Maduro ist »Teil des Drogenbusiness« und Venezuela endgültig auf dem Weg »zu einer kommunistischen Diktatur ohne Wenn und Aber«.

Was Stausberg mit solchen Formulierungen in der Dienstagausgabe der Welt veranstaltete, war ein publizistischer Amoklauf durch Südamerika, angefangen bei Venezuelas Nationalhelden – den sie aus unerfindlichen Gründen »Simón de Bolívar« nennt – bis hin zu Argentiniens einstigem Herrscher Juan Domingo Perón. »So wie Argentinien sich nicht mehr vom egomanischen Werk Peróns erholt hat, wird auch Venezuela dank Chávez und Maduro in den Abgrund rutschen«, heißt es schon im Untertitel des mit »Venezuela zerstört sich selbst« überschriebenen Leitartikels. Wobei sie natürlich den allgegenwärtigen finsteren Kubanern eine gehörige Mitverantwortung an diesem Zerstörungswerk zuschreibt.

Ginge es nach Frau Stausberg, bräuchte das südamerikanische Land »nicht nur mutige und visionäre Führungsgestalten, sondern eine Bevölkerung, die eine längere Periode harter Reformen mittrüge – in Venezuela kaum denkbar.«

Was für Leute sie als »klug und mutig« empfindet, hatte Stausberg schon 2008 ihren Lesern mitgeteilt: den damaligen kolumbianischen Staatschef Álvaro Uribe, dessen Rückkehr in das Präsidentenamt im kommenden Jahr droht. 2016 hatte dieser öffentlich davon geträumt, Maduro durch paramilitärische Banden stürzen zu lassen, um die »Tyrannei« zu beenden. Uribes eigene Verbindungen zu den ultrarechten Todesschwadronen und zur kolumbianischen Drogenmafia sind inzwischen gerichtsnotorisch.

Und was sie unter »harten Reformen« versteht, braucht Stausberg den Lesern der Welt sowieso nicht zu erklären. Der ganze Firlefanz wie staatlicher Wohnungsbau, kostenlose medizinische Versorgung und Schulbildung, subventionierte Lebensmittel, muss weg. Der Erdölkonzern muss gefälligst privatisiert werden, die Gewinne müssen, bitteschön, in schicke Villen und Luxusyachten investiert werden können – und nicht in Sozialprogramme fließen. Sollen die Armen doch wieder Hundefutter essen, wie in den Zeiten vor Chávez, in dem »ehedem überreichen Erdölstaat«, an den sich die Autorin so wehmütig erinnert.

Frau Stausberg, die Welt und wohl so ziemlich alle anderen Massenmedien hierzulande würden aber aufjaulen, wenn Venezuela tatsächlich »harte Reformen« durchführen würde. Von einem »sozialistischen Wirtschaftskurs«, den Stausberg so beklagt, ist in dem südamerikanischen Land nämlich noch wenig zu spüren. Sollte aber das Chaos von Korruption und Improvisation durch so etwas wie eine Planwirtschaft ersetzt, sollten Banken und Handelskonzerne unter gesellschaftliche Kontrolle gestellt werden, sollten die Arbeiter tatsächlich ihre Betriebe kontrollieren – dann würde man sich nicht nur in der Welt an die herrlichen Zeiten unter Maduro zurückerinnern, als es nur um ein bisschen mehr Gerechtigkeit ging.

Erschienen am 5. August 2017 in der Wochenendbeilage der Tageszeitung junge Welt