Guerillero im Pantheon

Im Panteón Nacional, der Ruhmeshalle in Venezuelas Hauptstadt Caracas, ruhen die Helden des südamerikanischen Landes, etwa der als Befreier verehrte Simón Bolívar. Vor allem Militärs, aber auch bedeutende Künstler und Schriftsteller wie Teresa Carreño und Rómulo Gallegos liegen hier. Am heutigen Montag kommt nun der erste Guerillero hinzu. Mit einer »gigantischen Demonstration«, so Staatschef Nicolás Maduro, soll Fabricio Ojeda in das Pantheon überführt werden.

Das Datum ist nicht zufällig gewählt: Am 23. Januar 1958 wurde der Diktator Marcos Pérez Jiménez gestürzt. Angeführt wurde der Aufstand durch eine in der Illegalität gebildete »Patriotische Junta«, der praktisch alle verfolgten Parteien angehörten: die sozialdemokratische AD, die christsoziale Copei, die liberale URD und die Kommunistische Partei PCV. Präsident des Zusammenschlusses wurde Fabricio Ojeda.

Die Hoffnungen auf einen wirklichen Aufbruch in Venezuela wurden jedoch enttäuscht. Am 31. Oktober 1958 unterzeichneten AD, Copei und URD den »Pakt von Punto Fijo«, in dem sie die Macht untereinander aufteilten und die linke Opposition ausgrenzten. Ojeda, der für die URD in das Parlament gewählt worden war, kritisierte dieses Verhalten seiner Partei scharf. 1962 schrieb er in einem Brief an das Parlamentspräsidium: »Selbstkritisch gestehe ich ein, dass am 23. Januar in Venezuela nichts geschehen ist, was etwas anderes wäre als das einfache Auswechseln einiger Männer an der Spitze der öffentlichen Angelegenheiten. Nichts ist geschehen, um die Privilegien und die Ungerechtigkeit zu beseitigen. Diejenigen, die die Macht besetzen, haben – natürlich mit ehrenwerten Ausnahmen – nichts getan, um uns vom imperialistischen Joch, der Feudalherrschaft, der Unterdrückung durch die Oligarchie zu befreien.« In dem Schreiben kündigt Ojeda an, welche Konsequenz er aus dieser Situation ziehen wollte: »Deshalb habe ich die Entscheidung getroffen, das Parlament aufzugeben und in die Berge zu gehen, um mich den Genossen anzuschließen, die den Kampf bereits aufgenommen haben, und mit ihnen weiter für die revolutionäre Befreiung Venezuelas, für das künftige Wohlergehen des Volkes, für die Auferstehung der Armen einzutreten.«

Fabricio Ojeda wurde Comandante der von der Kommunistischen Partei gegründeten Nationalen Befreiungsstreitkräfte (FALN). Als er sich jedoch am 17. Juni 1966 in Caracas mit anderen Kommandeuren der Guerilla treffen wollte, wurde er vom Geheimdienst des Militärs aufgespürt und verhaftet. Vier Tage später teilten Sprecher der Regierung mit, Ojeda sei erhängt in seiner Zelle »aufgefunden« worden. Die These vom Selbstmord wurde von Zeugen der Ereignisse und Ojedas Angehörigen zurückgewiesen. Eine zur Aufklärung eingereichte Klage wurde von der Justiz jedoch 46 Jahre lang verschleppt. Erst 2012 wurde der Leichnam exhumiert. Ein Ergebnis der Untersuchung wurde bislang nicht bekannt.

Maduro würdigte Ojeda am vergangenen Mittwoch bei einer internationalen Pressekonferenz als »Verkörperung der Rebellion«. Mit Blick auf die Führer der heutigen Opposition in Venezuela sagte er, Ojeda sei »nicht wie diese Feiglinge« gewesen, »die Leute zum Töten aussenden, die Unruhen befehlen und dann sagen: Das war ich nicht«. Deshalb habe er angeordnet, den 23. Januar zum »Fabricio-Ojeda-Tag« zu erklären und die sterblichen Überreste »dieses ewig Jugendlichen« vom Allgemeinen Südfriedhof in das Pantheon zu überführen. Dazu lade er das ganze Volk zu einer »großen Friedensdemonstration« im Geiste Ojedas ein.

Caracas steht am heutigen Montag somit eine weitere Machtprobe bevor. Die MUD, das Bündnis der rechten Oppositionsparteien, hat ebenfalls zu Demonstrationen aufgerufen, deren Ziel in Caracas das Gebäude des Nationalen Wahlrats (CNE) ist. Dort wolle man die sofortige Durchführung von Präsidentschaftswahlen verlangen, erklärte Oppositionssprecher Julio Borges. Die von ihm geleitete Nationalversammlung hatte am 9. Januar mit den Stimmen der rechten Abgeordneten eine Erklärung verabschiedet, wonach Maduro sein Amt »aufgegeben« habe. Die Regierung interpretiert das als Putschversuch.

Erschienen am 23. Januar 2017 in der Tageszeitung junge Welt