Graue Eminenz

Der 1964 in Caracas geborene Juan José Rendón Delgado gilt als die »graue Eminenz« der lateinamerikanischen Politik. »JJ«, wie er von Freund und Feind nur genannt wird, stellt sich auf der Homepage seines in Miami beheimateten Unternehmens »JJ Rendón & Asociados« ganz harmlos als »Psychologe, Kommunikationsspezialist und Publizist« vor. Bekannt ist er jedoch vor allem als Kampagnenberater für lateinamerikanische Spitzenpolitiker. So organisierte er von seinem nordamerikanischen Domizil aus Wahlkämpfe für den heutigen mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto oder den venezolanischen Oppositionkandidaten Henrique Capriles Radonski. Zuletzt war er für Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos tätig. Doch wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl am 25. Mai in dem südamerikanischen Land ist Rendón zu einer schweren Belastung für Santos geworden. Im Raum stehen Schmiergelder der kolumbianischen Drogenmafia und ein internationaler Haftbefehl wegen Vergewaltigung.

 

Der umtriebige Geschäftsmann sieht sich als »politisch Verfolgter« der venezolanischen Regierung und hat deshalb Washington um Asyl gebeten. Die Entscheidung darüber steht in den kommenden Wochen an – und es sieht nicht gut aus für Rendón. Die Behörden wollen von ihm wissen, woher die vier Millionen Dollar stammen, mit denen Rendón sich ein Penthouse in Miami gekauft hat. Sollte er das nicht transparent machen können, droht ihm die Abschiebung, berichtete am Sonntag (Ortszeit) die in Bogotá erscheinende Tageszeitung El Tiempo. Und Interpol fahndet nach ihm wegen mutmaßlicher Vergewaltigung. Eine Venezolanerin, die sich auf ein Stellenangebot Rendóns beworben hatte, beschuldigt diesen, sie im vergangenen Herbst nach einer Besprechung in einem Hotel in Panama mißhandelt zu haben.

Ursprünglicher Auslöser für die Krise, die nun den Wahlkampf von Santos erschüttert, war ein Bericht des Journalisten Daniel Coronell im kolumbianischen Nachrichtenmagazin Semana. Dem Artikel zufolge soll Javier Antonio Calle Serna, einer der führenden Köpfe des »Comba«-Drogenklans, Rendón zwölf Millionen Dollar überreicht haben, damit dieser den Kontakt zu Santos herstellte. Rendón überreichte daraufhin 2011 einen Brief und ein Video des Kartells an den damals seit rund einem Jahr amtierenden Staatschef. Die Kriminellen wollten mit Santos einen Verzicht auf die Verfolgung der Drogenbanden verhandeln.

Sowohl Santos als auch Rendón räumten ein, daß es den Kontakt gab. Zu echten Verhandlungen sei es jedoch nicht gekommen. Calle Serna stellte sich daraufhin 2012 in Aruba den Behörden, wurde an die USA ausgeliefert und kooperiert seither mit den dortigen Ermittlern – und belastet Rendón. Dieser behauptet, für seine Botentätigkeit kein Geld genommen zu haben, obwohl er für seine Arbeit sonst gerne happige Rechnungen stellt, wie Semana schreibt. Diesmal jedoch hätten die Kuriere der Drogenbande nicht einmal den bei der Besprechung getrunkenen Kaffee übernommen, erklärte Rendón. Doch nur zehn Tage später kaufte er sich die besagte Nobelunterkunft in Miami.

Am Dienstag vergangener Woche teilte Kolumbiens Generalstaatsanwaltschaft mit, Ermittlungen gegen Rendón aufgenommen zu haben. Und auch Venezuela fordert Rendóns Auslieferung wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Drogenkriminalität. Im venezolanischen Parlament warf der sozialistische Abgeordnete Robert Serra der rechten Opposition, deren Berater Rendón war, bereits vor, ihre Politik mit Geldern aus dem Drogenhandel zu bezahlen.

Ironischerweise könnte ausgerechnet Santos’ Amtsvorgänger Álvaro Uribe als lachender Dritter aus der Affäre hervorgehen. Er hatte öffentlich behauptet, über Rendón seien 2010 zwei Millionen Dollar Drogengelder in Santos’ Wahlkampf geflossen. Uribe muß es wissen: Seine eigene Amtszeit war geprägt von Korruptionsskandalen, seine Verbindungen zu den rechten Todesschwadronen sind gerichtsnotorisch. Sein Verteidigungsminister in dieser Zeit war Santos.

Erschienen am 15. Mai 2014 in der Tageszeitung junge Welt