Gewünschte Bilder

Große Aufregung herrschte Anfang 2014 im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Sotschi. Der böse Diktator Wladimir Putin hielt die Proteste von den Sportlern fern! Die eingerichtete »Protestzone« war zwölf Kilometer entfernt! Das sei eine »Farce«, empörte sich Spiegel online, »Human Rights Watch« sprach von »potemkinschen Protestzonen«, und die taz sekundierte: »Menschenrechtsgruppen werfen den Behörden eine Einschüchterungskampagne gegen Aktivisten und kritische Journalisten in Sotschi vor.«

16, 17 Monate später beim bevorstehenden G-7-Gipfel in Elmau ist alles anders. Obwohl Demonstrationen nur auf einer Länge von 40 Metern genehmigt und Protestcamps gleich ganz verboten werden, hält sich die veröffentlichte Empörung in Grenzen. Obwohl rund um das Veranstaltungsgelände ein meterhoher Zaun errichtet wird und Reiterstaffeln, Spürhunde und Zehntausende Polizisten den störungsfreien Ablauf sichern sollen, fordert kaum ein deutscher Politiker die Absage des Events oder Sanktionen gegen das autoritäre Regime. All diese Maßnahmen und die dafür aufzubringenden Kosten seien »gerechtfertigt«, teilte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag mit. Natürlich, der Gastgeber heißt ja nicht Putin.

Seit Wochen und Monaten wird vor allem in den bayerischen Medien Angst vor Krawallen und anreisenden Radikalinskis geschürt, um so die Millionenausgaben für die Abschottung des Nobelhotels Schloss Elmau zu rechtfertigen, in dem ab Sonntag die Repräsentanten der selbsternannten »sieben wichtigsten Industrienationen« tagen. Es dürfte wieder eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sein. Die gewünschten Bilder zur Hauptsendezeit wird man schon bekommen, so oder so. Das war schon bei den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 nicht anders. Dort provozierte die Polizei die 80.000 Teilnehmer der Großdemonstration in Rostock so lange, bis unter ungeklärten Umständen ein Auto in Flammen aufging. Die Beamten gingen mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken gegen die Demonstranten vor – und die bürgerlichen Medien hatten ihre Schlagzeilen von den »schweren Straßenschlachten« an der Ostsee.
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Das wird auch in diesem Jahr so sein, und es hat auch schon begonnen. Der Focus macht Stimmung mit einer Fotomontage, die brennende Barrikaden vor idyllischer Bergkulisse zeigt. Der Münchner Merkur meldete am Wochenende auf seiner Internetseite sensationsheischend, dass die Polizei in München »Vor G7-Protest: Mann mit Messer und Sturmhaube gefasst« habe. Warum der Merkur sich aber so sicher ist, dass es sich bei dem 22jährigen um einen »G-7-Gegner« gehandelt habe, wurde nicht mitgeteilt – die Münchner Polizei selbst hatte das jedenfalls nicht behauptet.

Eine Botschaft dieses Gipfeltreffens ist aber auch so bereits unübersehbar: Die obersten Volksvertreter aus sieben Staaten müssen sich in den Bergen hinter Mauern und Stacheldraht vor den von ihnen Regierten verstecken.

Erschienen am 2. Juni 2015 in der Tageszeitung junge Welt