Gespräch mit Xavier Moreno: »Durch die Umstände zum Lernen gezwungen«

[tds_info]Xavier Antonio Moreno Reyes ist Generalsekretär des Nationalen Wahlrats in Venezuela[/tds_info]

Am 22. April steht in Venezuela die Präsidentschaftswahl an, und schon im vergangenen Jahr hat der Nationale Wahlrat, CNE, eine ganze Reihe von Abstimmungen stattfinden lassen: die Entscheidungen über die Verfassunggebende Versammlung, über die Gouverneure und die Kommunalvertretungen. Die beiden letzteren hätten aber bereits 2016 durchgeführt werden müssen. Sie wurden damals ohne Begründung verschoben. Warum?

Es gab keine offizielle Erklärung für diese Verschiebungen, weil sie die Folge einer bestimmten Dynamik waren. Die Absage der Wahlen 2016 hing zusammen mit dem Antrag auf Durchführung eines Amtsenthebungsreferendums gegen Präsident Nicolás Maduro. Dieser Prozess wurde angegangen, und der CNE hatte entschieden, ihm zu diesem Zeitpunkt den Vorrang zu geben. Als dieses Verfahren schließlich aufgrund einer Gerichtsentscheidung nicht fortgesetzt werden konnte, war die Zeit bereits zu weit fortgeschritten, um die Wahlen noch ordnungsgemäß zum ursprünglich vorgesehenen Termin durchführen zu können.

Mitte August 2017 entschied die Verfassunggebende Versammlung, die Regionalwahlen noch im Oktober zu veranstalten. Es blieben Ihnen dann acht Wochen, um die Abstimmung zu organisieren – und es ist ihnen gelungen.

Ja, es ist gelungen, weil wir gelernt haben. Durch die ebenfalls kurzfristig angesetzte Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung inmitten einer schrecklichen Situation, die tragischerweise zahlreiche Menschenleben gefordert hat, mussten wir bereits zuvor eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, die unsere Arbeit beschleunigt haben. Wir mussten uns gegen physische Angriffe und Bedrohungen schützen. Es gab ja nicht nur brennende Autoreifen auf den Straßen. Ich selbst musste zum Beispiel mein Zuhause verlassen, weil versucht wurde, die Ausgänge zu blockieren, damit ich meine Arbeit nicht machen konnte. Daraus haben wir gelernt. Als dann die Verfassunggebende Versammlung entschieden hat, dass die Wahlen umgehend stattzufinden haben, mussten wir das eben schaffen. Und als die Regionalwahlen vollendet waren, gab es den Beschluss, dass auch die Kommunalwahlen durchgeführt werden müssen. Wir haben also zum Beispiel die Wahlmaschinen sofort neu konfiguriert, nachdem die letzten Überprüfungen des vorherigen Prozesses abgeschlossen waren. Wir waren durch die Umstände zum Lernen gezwungen, und das war nicht einfach. Ich hoffe, dass das nicht wieder passiert, denn es hat uns alle an den Rand der Leistungsfähigkeit gebracht. Und das betrifft alle, die beim CNE arbeiten und die man normalerweise nicht sieht. Die Leute zum Beispiel, die die Maschinen programmieren, konnten zeitweilig nicht nach Hause fahren, weil die Zeit fehlte.

Wie viele Menschen arbeiten in der Wahlbehörde?

Ständig angestellt beim CNE sind 3.000 bis 3.500 Personen. Aber es sind viel mehr, wenn die Realisierung von Wahlen ansteht. Dann werden zahlreiche weitere für bestimmte Aufgaben angestellt. Zum Beispiel müssen die Wahlmaschinen unmittelbar nach ihrer Programmierung in die verschiedenen Bundesstaaten und in die entlegensten Regionen transportiert werden. Das klingt erst mal einfach, ist es aber nicht. Und noch schwieriger ist der Rücktransport. Und unmittelbar nach dem Ende eines Wahlprozesses müssen die Maschinen für den nächsten vorbereitet werden, denn wir wissen ja nicht, wann der ansteht. Außerdem sind wir als CNE für unzählige weitere Abstimmungen zuständig, zum Beispiel für Vorstandswahlen in Berufsorganisationen und Gewerkschaften.

Gerade die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung im vergangenen Jahr hatten einen besonderen Charakter, da nicht nur nach Wahlkreisen, sondern auch nach Gesellschaftsgruppen gewählt wurde. Zunächst schrieben sich mehr als 50.000 Menschen als Kandidaten ein, am Ende konnten sich aber nur 6.120 Personen um ein Mandat bewerben. Das bedeutet, dass fast 90 Prozent der »Vorkandidaten« letztlich nicht antreten konnten. Das erscheint mir ein sehr großer Anteil.

Mir ist kein Fall bekannt, in dem eine Kandidatur ohne Begründung abgelehnt wurde. Immer gab es einen Grund dafür. Zum Beispiel kam es bei der Sammlung von Unterstützungsunterschriften für die Kandidaten vor, dass jemand mehrfach unterzeichnete. In solchen Fällen reduziert sich bei der Überprüfung natürlich die Zahl der gültigen Unterschriften, so dass am Ende möglicherweise nicht genügend beisammen sind. Es kam darauf an, dass alle Bedingungen erfüllt waren, die für eine Kandidatur nötig waren.

Wenn sich ein Kandidat oder eine Partei ungerecht behandelt fühlt, welche Wege stehen offen, um dagegen vorzugehen?

Die erste Adresse dafür ist die zuständige Kontroll- und Finanzkommission. Sie hat Büros in allen Teilen des Landes und ist für jede Reklamation zuständig, die eine politische Organisation vorbringen möchte. Normalerweise sind die Vertreter der Parteien ohnehin in ständigem Kontakt mit dem jeweiligen Direktor in dem örtlichen Büro. Die Kommission trifft dann eine Entscheidung, die dann dem Nationalen Wahlrat zur Bestätigung vorgelegt wird. Dann wird sie im Amtsblatt der Wahlbehörde veröffentlicht, und dann stehen den Betroffenen alle juristischen Wege offen, ihr Anliegen vor Gericht klären zu lassen.

Erschienen am 13. Februar 2018 in der Tageszeitung junge Welt