Generalstreik für Freiheit

Tausende Menschen haben sich am Mittwoch in Katalonien an einem 24stündigen Generalstreik beteiligt, zu dem der linke Gewerkschaftsdachverband Intersindical-CSC aufgerufen hatte. Mehrere andere Arbeiterorganisationen schlossen sich dem Streik an, unter anderem die anarcho-syndikalistische CGT. Der Ausstand richtete sich offiziell gegen die »Verarmung der Arbeiterklasse« durch zu geringe Löhne sowie gegen die von Madrid am 6. Oktober per Dekret vereinfachte Verlagerung von Unternehmensstandorten. Dadurch umging der Gewerkschaftsbund das in Spanien geltende Verbot politischer Streiks. Trotzdem hatte das Arbeitsministerium versucht, den Ausstand für illegal erklären zu lassen, scheiterte damit aber am Dienstag abend vor dem katalanischen Verfassungsgericht.

Geprägt wurden die Aktionen am Mittwoch jedoch durch Forderungen nach Freilassung der politischen Gefangenen und durch den Protest gegen die Unterdrückung durch die spanische Zentralmacht. Diese hatte Ende Oktober die Autonomie Kataloniens aufgehoben und die gewählte Regionalregierung abgesetzt. Während sich Ministerpräsident Carles Puigdemont daraufhin zusammen mit vier Ministern nach Brüssel absetzte, wurden Vizepräsident Oriol Junqueras und acht Minister in Untersuchungshaft genommen. Bereits seit dem 16. Oktober sitzen zwei führende Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung, Jordi Sànchez und Jordi Cuixart, im Gefängnis.

Die Verteidigung der Demokratie und der katalanischen Institutionen hat in der Region inzwischen fast die Forderung nach einer von Spanien unabhängigen Republik verdrängt. Das hat Bündnisse ermöglicht, die weit über die eigentliche Bewegung der »Independentistes« hinausgehen. So riefen zwar die großen Gewerkschaftsverbände UGT und CCOO am Mittwoch nicht mit zum Streik auf, mobilisierten ihre Mitglieder jedoch zu den Kundgebungen gegen die Repression.

Während die spanische Regierung die Beteiligung am Ausstand als »marginal« abtat, sprach der öffentlich-rechtliche Fernsehsender TV 3 von einem »Kollaps« des öffentlichen Lebens. Tatsächlich sorgten vor allem in den Morgenstunden rund 70 Blockaden von Autobahnen und Schnellstraßen im Großraum Barcelona und in anderen Teilen des Landes dafür, dass der Verkehr weitgehend zum Erliegen kam. Auch Strecken der Regionalbahnen wurden blockiert. In Girona und Barcelona besetzten Hunderte Streikende über Stunden die Gleise, so dass die Verbindung des Schnellzugs AVE nach Frankreich unterbrochen war. In Lleida war der Straßenverkehr durch Hunderte Traktoren lahmgelegt. Mehrfach gingen die spanische Nationalpolizei und die katalanischen Mossos d’Esquadra, die inzwischen ebenfalls von Madrid kontrolliert werden, gegen Streikposten vor.

Mehrere Zeitungen erschienen am Mittwoch nicht, Fernsehsender stellten ihren Betrieb ein oder beschränkten sich auf ein Rumpfprogramm. So übernahm der Sportkanal Esports 3 die Sendungen von TV 3. Der wiederum informierte auf seiner Homepage und in Einblendungen, dass sich die Beschäftigten »zur Verteidigung der sozialen und arbeitsrechtlichen Rechte und Freiheiten und unserer Institutionen« dem Streik angeschlossen hätten.

Gegen Mittag versammelten sich Tausende zu Kundgebungen. Die Plaça de Sant Jaume im Zentrum Barcelonas war mit unzähligen Demonstranten gefüllt. Vom Balkon des Rathauses der katalanischen Hauptstadt forderte ein Transparent »Freiheit für die politischen Gefangenen«.

Erschienen am 9. November 2017 in der Tageszeitung junge Welt