Gefährliches Spiel

In zehn Tagen hat Nicolás Maduro die 23 Bundesstaaten Venezuelas durchreist und in jedem von ihnen bei großen Kundgebungen um Stimmen für die Präsidentschaftswahl am Sonntag geworben. Abschluß und Höhepunkt dieser Tournee sollte am gestrigen Donnerstag (nach jW-Redaktionsschluß) eine gewaltige Demonstration im Zentrum der Hauptstadt Caracas werden, zu der mehrere Millionen Menschen erwartet wurden. Es war der offizielle Abschluß des Wahlkampfes, seit Freitag um 0 Uhr sind keine Kundgebungen mehr gestattet.

 

Bereits in den Tagen zuvor fanden in den Straßen von Caracas unzählige kleinere Kundgebungen und Demonstrationen statt. Autokorsos kurven mit roten Fahnen durch die Stadt. An nahezu jeder Straßenecke stehen »rote Punkte«. An diesen Infoständen werben Anhänger des Regierungslagers mit Werbematerialien und zumeist auch mit lautstarker Musik um Stimmen. Am Mittwoch entrollten Jugendliche ein rund 30 Meter langes Transparent mit dem Aufruf, im Sinne des am 5. März verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez für Nicolás Maduro zu stimmen. Dabei zeigte sich Daniel Rodríguez, ein 23jähriger Student, im Gespräch mit junge Welt entschlossen, alles ihm mögliche für einen klaren Wahlerfolg Maduros zu tun. »Wir schulden dem Comandante Hugo Chávez zehn Millionen Stimmen«, gab er das Wahlziel aus.

Diese »zehn Millionen Stimmen« sind unter den Chavistas Venezuelas zu einem Mythos geworden. Hugo Chávez hatte dieses Ziel 2006 im Wahlkampf gegen Manuel Rosales ausgegeben. Erreicht wurde es bis heute nicht. 2006 stimmten 7,6 Millionen Menschen für Chávez, bei der Wahl im vergangenen Jahr waren es fast 8,2 Millionen. Es ist auch sehr unwahrscheinlich, daß die Marke am Sonntag geknackt wird, auch wenn alle Umfragen auf einen klaren Erfolg Maduros hindeuten.

Mehr Sorgen als um ihren Sieg am Sonntag machen sich die Bolivarianos allerdings um die Reaktion des wahrscheinlichen Wahlverlierers, Henrique Capriles. In Venezuela mehren sich die Hinweise darauf, daß dieser eine Niederlage nicht anerkennen will. Am Mittwoch präsentierte Parlamentspräsident Diosdado Cabello Belege für derartige Planungen. So spielte er eine Tonaufnahme vor, auf der ein Joao Nunes Rocha zu hören ist. Dieser Leibwächter des Oppositionskandidaten äußert darin gegenüber dessen Fahrer, sein Chef werde das Ergebnis im Falle einer Niederlage nicht akzeptieren: »Das gibt Ärger!«

Weiter präsentierte Cabello die E-Mail eines Carlos Lee, der gemeinsam mit anderen Regierungsgegnern der »Junta Patriótica« angehört, ein von der Opposition gebildetes Schattenregime, das bei einem Sturz der Regierung die Amtsgeschäfte übernehmen soll. In diesem Schreiben an Vicente Díaz, den einzigen ausgewiesenen Oppositionellen in der Spitze des Nationalen Wahlrates (CNE), wird offen eine Verletzung der Gesetze angekündigt: »Wir informieren Sie hiermit über die Nichtanerkennung der Artikel 350 und 333 der Verfassung. Nichtanerkennung und Nichtbefolgung der Reports des CNE.« Offenbar sollen am Wahlabend mit Hilfe der Oppositionsgruppe Esdata gefälschte Ergebnisse verbreitet werden, um dann die offiziellen Zahlen des CNE als »manipuliert« zurückweisen zu können.

Ein Beispiel für diese Strategie hatte bereits bei der Wahl am 7. Oktober die ultrarechte spanische Tageszeitung ABC geliefert, als sie in den Mittagsstunden auf ihrer Homepage verbreitete, Capriles habe die Wahl gegen Chávez gewonnen. Damals vereitelte ausgerechnet Capriles diese Kampagne, weil er seine Niederlage unmittelbar nach der Bekanntgabe des offiziellen Ergebnisses einräumte. Vom rechten Flügel der Opposition wurde er dafür scharf attackiert. Nun befürchten viele, daß Capriles das Fehlen der Autorität von Hugo Chávez diesmal zu einer solch abenteuerlichen Strategie verleiten könnte.

CNE-Präsidentin Tibisay Lucena verurteilte derartige Manöver am Mittwoch scharf. Begleitet von hohen Offizieren des Oberkommandos der Nationalen Bolivarischen Streitkräfte Venezuelas warnte sie bei einer Pressekonferenz: »Wir haben beobachtet, daß erneut antidemokratische Strömungen, die nicht an Wahlen glauben, versuchen, dem Land ihre Agenda aufzuzwingen.« Die Venezolaner dürften nicht auf diese »groteske Provokation« hereinfallen, forderte Lucena: »Sie können sicher sein, daß die Institutionen des Staates sehr stabil sind und diesen antidemokratischen Bestrebungen Widerstand leisten werden.«

Erschienen am 12. April 2013 in der Tageszeitung junge Welt