Gedenken statt feiern

Tausende Menschen haben in Brasilien gegen die Verherrlichung der das Land von 1964 bis 1985 beherrschenden Militärdiktatur durch Staatschef Jair Bolsonaro und weitere hochrangige Vertreter seines Regimes protestiert. Kundgebungen gab es unter anderem in São Paulo, Porto Alegre, Brasília und anderen Städten. In Rio de Janeiro versammelten sich einem Bericht des Onlinemagazins Brasil de Fato zufolge rund 4.000 Menschen, um der offiziell 434 Menschen zu gedenken, die unter der Herrschaft der Militärs ermordet wurden oder als »verschwunden« gelten. Tausende weitere waren inhaftiert, gefoltert oder zur Flucht ins Exil gezwungen worden.

Bolsonaro hatte angeordnet, dass die Streitkräfte den 55. Jahrestag des Staatsstreichs vom 31. März 1964 gegen den gewählten Präsidenten João Goulart »angemessen feiern« sollten. Einem Regierungssprecher zufolge habe es sich damals nicht um einen Militärputsch gehandelt, »sondern um eine Mobilisierung von Schichten der Gesellschaft zusammen mit den Militärs«. In einem am Sonntag vom Präsidentenpalast Planalto verbreiteten Video wird – entgegen den historischen Fakten – unter anderem behauptet, Brasilien habe damals ein »kommunistischer Putsch« gedroht, dem seien die Streitkräfte zuvorgekommen. Man müsse dem Militär »keine Kränze winden und keine Ehrungen veranstalten«, es habe nur seine Aufgabe erfüllt, heißt es in der über »soziale Netzwerke« verbreiteten Aufnahme. Bereits am Freitag war im Planalto bei einer Militärzeremonie ein Tagesbefehl verlesen worden, in dem es unter anderem heißt: »Die Streitkräfte erhörten den Ruf der großen Mehrheit des Volkes und nahmen sich der Stabilisierung der Lage an.«

Die oppositionelle Arbeiterpartei (PT) will mit Strafanzeigen gegen die Verherrlichung der Putschisten vorgehen. Ihr Fraktionschef Paulo Pimenta erklärte über Twitter, die Verbreitung von Putschpropaganda über die offiziellen Kanäle der Regierung sei ein Verstoß gegen den Amtseid, in dem Bolsonaro versprochen habe, die Verfassung zu achten. Die PT gehört auch zu den Unterzeichnern einer Erklärung von sechs linken Parteien, mit der diese dem Geschichtsrevisionismus der Regierung eine Absage erteilen und zum gemeinsamen Widerstand aufrufen.

2014 aufgedeckte Dokumente der US-Administration belegen, wie die Putschisten gemeinsam mit Washington den Sturz des demokratischen Präsidenten Goulart vorbereitet hatten. Einer Untersuchung zufolge, die das National Security Archive an der George Washington University in der US-amerikanischen Hauptstadt vor fünf Jahren veröffentlichte, hatte der damalige US-Präsident John F. Kennedy schon 1962 seine Berater gefragt, welche Beziehungen man zu den brasilianischen Generälen habe. Sein Nachfolger Lyndon B. Johnson gab dann 1964 grünes Licht für den Putsch.

Bolsonaro selbst traf am Sonntag zu einem offiziellen Besuch in Israel ein. Ein Gespräch am Sonntag abend in Jerusalem mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wurde von wütenden Protesten begleitet. Demonstranten forderten vor der Residenz des Regierungschefs unter anderem Aufklärung des Mordes an der linken Stadträtin Marielle Franco. Die Politikerin der Partei Sozialismus und Freiheit (PSOL) war am 14. März 2018 in Rio de Janeiro in ihrem Auto erschossen worden. Die Suche nach den Mördern und ihren Hintermännern führte die Ermittler zuletzt in das direkte Umfeld Bolsonaros.

Erschienen am 2. April 2019 in der Tageszeitung junge Welt