junge Welt, 31. Januar 2018

Friedensprozess unter Beschuss

In Kolumbien droht der Friedensprozess zwischen der Regierung und der ELN-Guerilla zu scheitern. Nachdem sich die Nationale Befreiungsarmee am Montag (Ortszeit) zu einem Anschlag auf eine Polizeiwache am vergangenen Wochenende in Barranquilla bekannt hatte, setzte Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos alle weiteren Gespräche mit den Aufständischen aus. Ursprünglich hätten die Unterhändler beider Seiten am heutigen Mittwoch in Quito zusammenkommen sollen. Nun erklärte der Staatschef jedoch: »Die fünfte Gesprächsrunde wird erst eröffnet, wenn die ELN ihre Haltung mit dem Ruf des kolumbianischen Volkes und der internationalen Gemeinschaft nach Frieden in Einklang bringt.« Tatsächlich hatte der Staatschef seine Unterhändler allerdings bereits am 10. Januar aus Quito zurückgerufen, nachdem ein dreimonatiger Waffenstillstand ausgelaufen war.

Am Sonnabend waren im Hof einer Polizeiwache im Stadtviertel San José von Barranquilla zwei Sprengsätze explodiert. Wie die örtliche Tageszeitung El Heraldo unter Berufung auf die Ermittler berichtete, sollen die Bomben durch ein Mobiltelefon ferngezündet worden sei. Die Detonation tötete fünf Beamte, 48 Menschen wurden verletzt. In einer auf den Internetseiten der ELN veröffentlichten Erklärung übernahm die Guerillaorganisation die Verantwortung für den Anschlag. Man habe in »legitimer Ausübung des Widerstandsrechts« auf die »brutale Unterdrückung der Proteste« von Einwohnern der Stadt reagiert. Der Polizei warf die ELN vor, Bündnisse mit der Drogenmafia aufrechtzuerhalten, während sie Konsumenten »psychoaktiver Substanzen« bestrafe. Zunächst hatten die kolumbianischen Behörden kriminelle Banden hinter dem Attentat vermutet, weil am Wochenende auch in anderen Regionen und im benachbarten Ecuador Anschläge auf Polizeistationen verübt worden waren.

Die FARC, die sich nach jahrzehntelangem Guerillakampf im vergangenen Jahr zu einer legalen Partei umgewandelt hatte, distanzierte sich noch am Sonnabend von den Anschlägen. »Kolumbien muss eine riesige kollektive Anstrengung unternehmen, um aus dem Sumpf der Gewalt, des Todes und der Angst zu entkommen. Wir glauben nicht, dass dies die Stunde für das Dröhnen der Waffen und das Blutvergießen ist.« Eine solche Tat sei nur Wasser auf den Mühlen der »Kriegsfanatiker«, kritisierte die FARC. Die marxistische Organisation hatte am 24. November 2016 einen Friedensvertrag mit der kolumbianischen Regierung unterzeichnet und die Waffen abgegeben. Ihr oberster Comandante Timoleón Jiménez kandidiert bei den Präsidentschaftswahlen am 27. Mai. Bei einer Kundgebung zum Wahlkampfauftakt beklagte er am Sonntag jedoch, dass seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages 37 Mitglieder der FARC ermordet worden seien. 500 Genossinnen und Genossen säßen zudem noch immer im Gefängnis, obwohl eine Amnestie vereinbart worden sei.

Der Generalsekretär der Kolumbianischen Kommunistischen Partei, Jaime Caycedo, rief dazu auf, Bedingungen für einen erneuten bilateralen Waffenstillstand zwischen der Staatsmacht und der ELN zu schaffen, dessen Einhaltung in angemessener Weise überprüft werden müsse. Er warnte, dass die extreme Rechte die entstandene Situation ausnutzen wolle, um den Friedensprozess endgültig zu beenden, was nur zu einer weiteren Zunahme der Repression führen werde.

Die ELN zeigte sich am Montag zu einer neuen Feuerpause bereit. Solange ein solcher Waffenstillstand nicht vereinbart sei, werde man die militärischen Aktionen jedoch fortsetzen, wie es auch die Gegenseite tue.

Erschienen am 31. Januar 2018 in der Tageszeitung junge Welt