Francos Erbe

In Spanien rasen zwei Züge aufeinander zu, und zumindest in einem von beiden wird die Geschwindigkeit erhöht, statt auf die Bremse zu treten. Am Dienstag hat der spanische Kongreß mit den Stimmen der einst von Eliten des Franco-Regimes gegründeten Volkspartei (PP), der sozialdemokratischen PSOE und kleinerer Rechtsparteien einen Antrag des katalanischen Parlaments abgelehnt, per Volksbefragung über die Unabhängigkeit der autonomen Region entscheiden zu dürfen.

 

Mit dieser Entscheidung bleibt Madrid der Linie einer ständigen Zuspitzung der Beziehungen zu Katalonien treu. Doch diese hat die jetzige Lage erst verursacht. Jahrzehntelang waren die »Independentistes«, die Befürworter der Unabhängigkeit, eine zwar laute, aber doch nur von einer Minderheit unterstützte Bewegung. Das hat sich in den vergangenen Jahren mit dem brutalen Sozialkahlschlag in Spanien geändert. Inzwischen sprechen sich in Umfragen mehr als 60 Prozent der Katalanen für einen eigenen Staat aus. Das liegt aber auch daran, daß Madrid alle bisherigen Versuche, ein bißchen mehr Eigenständigkeit zu bekommen, abgeblockt hat.

2006 war nach langen Verhandlungen sowohl vom katalanischen als auch vom spanischen Parlament und in einer Volksabstimmung ein neues Autonomiestatut verabschiedet worden. Die damals oppositionelle PP klagte dagegen beim spanischen Verfassungsgericht. Dieses kassierte 2010 wesentliche Bestimmungen – was in der autonomen Region als Demütigung empfunden wurde. 2012 ließ Ministerpräsident Mariano Rajoy auch Verhandlungen über einen Fiskalpakt platzen, durch den eine gerechtere Verteilung der Steuerlast erreicht werden sollte.

Auf Dialogforderungen Kataloniens antwortet Madrid immer mit dem Hinweis auf die Buchstaben der Verfassung, in der die »unauflösbare Einheit der spanischen Nation, dem gemeinsamen und unteilbaren Vaterland aller Spanier« beschworen wird. Diese Verfassung stammt aus dem Jahr 1978, als die Erben des drei Jahre zuvor verstorbenen Diktators Francisco Franco die Übernahme solcher ideologischen Säulen des spanischen Faschismus zur Bedingung für einen Übergang zur parlamentarischen Demokratie machten. Seither ist zwar mit der Verfassung vereinbar, daß Millionen Menschen durch Sozialabbau die Lebensgrundlage entzogen wird, daß ein König auf Staatskosten Elefanten jagt und daß Faschisten mit Aufmärschen den Diktator ehren. Ein Referendum darüber, ob die Katalanen in diesem Staatsverband bleiben wollen, soll mit ihr hingegen unvereinbar sein.

Die Position der katalanischen und spanischen Linken – auch derjenigen, die eine Abtrennung Kataloniens ablehnen – ist eindeutig: Die Katalanen haben das Recht, selbst zu entscheiden. Sollte dieses Referendum durch Madrid jedoch wie angekündigt »mit allen Mitteln« verhindert werden, droht Spanien, das den faktischen Bürgerkrieg im Baskenland noch gar nicht überwunden hat, ein Rückfall in vergangen geglaubte Zeiten.

Erschienen am 10. April 2014 in der Tageszeitung junge Welt