Fasten gegen Chávez

Die rechte Opposition in Venezuela hat Hungerstreiks als neue Ausdrucksform für ihre Propaganda entdeckt. Insgesamt habe es seit Jahresbeginn bereits mehr als 35 Hungerstreiks gegeben, während es in den zwölf Monaten zuvor 105 und im Jahr 2009 nur neun gewesen seien, sagte Marco Antonio Ponce von der Organisation Provea. Die jüngste Aktion ist ein Protest von Krankenhausangestellten, die seit Tagen vor der brasilianischen Botschaft in Caracas ausharren. Vor allem junge Frauen fordern hier im Namen der »Vereinigung pensionierter Krankenschwestern und Pfleger« eine Erhöhung der Rentenzahlungen.

Aufsehen erregte zuvor ein 31 Tage dauernder Hungerstreik von 28 Studenten vor dem venezolanischen Sitz des UN-Entwicklungsprogramms UNDP in Caracas. Auch in anderen Städten Venezuelas schlossen sich einige ihrer Kommilitonen dem Ausstand an und forderten eine bessere finanzielle Ausstattung ihrer Hochschulen durch die Regierung. Am vergangenen Wochenende schließlich beendeten sie ihre Aktion, nachdem es zu einem Abkommen zwischen Vertretern der Universitäten und der Regierung gekommen war. »Wir haben die Forderungen durchgesetzt, die wir am 23. Februar erhoben haben, als wir diesen Protest begannen«, erklärte ihre Sprecherin Gabriela Arellano.

Tatsächlich jedoch bleiben die Vereinbarungen, die der oppositionelle Fernsehsender Globovisión auf seiner Homepage verbreitete, vage. Die Universitäten müssen an das zuständige Ministerium die Zahl der Stipendienempfänger mitteilen, damit eine von Venezuelas Präsident Hugo Chávez bereits angekündigte Erhöhung der monatlichen Unterstützung auf 400 Bs. (rund 66 Euro) noch im Verlauf des April umgesetzt werden kann. Ansonsten sollen an einem »runden Tisch« Maßnahmen besprochen werden, wie Mängel bei den Dienstleistungen für die Studierenden abzustellen sind.

Andere Studenten vermuten deshalb, daß es ihren Kommilitonen nicht um die konkreten Forderungen ging. Gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur AVN sagte Kelly Romero, die beim Jugendsender Ávila TV mitarbeitet, die Teilnehmer an der Aktion sollten sich lieber vernünftig für ihre Interessen einsetzen, denn im heutigen Venezuela sei dies möglich. In den zwölf Jahren seit dem Amtsantritt des Präsidenten Hugo Chávez sei die Zahl der Studenten in Venezuela von 300000 auf über zwei Millionen gestiegen, mehr als zehn neue Universitäten seien gegründet worden, um das Recht der Bevölkerung auf Bildung zu gewährleisten. Im staatlichen Fernsehen VTV wurden zudem Aufnahmen ausgestrahlt, die zeigen sollen, wie die »Hungerstreikenden« heimlich doch Nahrung aufgenommen hätten.

Kaum hatten die Studenten ihre Aktion beendet, füllten sich die Blätter der Regierungsgegner bereits mit neuen Meldungen über derartige Aktionen. Frühere Angestellte des von der venezolanischen Regierung nationalisierten mexikanischen Zementkonzerns Cemex verweigern die Nahrungsaufnahme, weil sie von der Regierung die Auszahlung von insgesamt 50 Millionen US-Dollar fordern. Dabei handele es sich um ausstehende Gehälter, werden die Hungerstreikenden von oppositionellen Medien zitiert.

Die nordamerikanisch-venezolanische Publizistin Eva Golinger sieht in den Kampagnen eine gezielte Strategie der Regierungsgegner, um die politische Lage in Venezuela nach dem Muster der »Farbenrevolutionen« in Europa und Zentralasien zu destabilisieren. »Die Hungerstreiks sind Teil einer Initiative, um einen permanenten Konfliktzustand aufrechtzuerhalten«, sagte sie dem Rundfunksender YVKE Mundial. Die Strategie der Opposition gleiche dem Programm der serbischen Organisation OTPOR (Widerstand), die Ende der 90er Jahre unter Anleitung US-amerikanischer Institutionen den Kampf gegen die Regierung des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic geführt habe. »Hinter einer Sprache, die von Gewaltlosigkeit, reiner Demokratie und Freiheit redet, stehen die Akteure, die ihre Herrschaft zurückerobern wollen, um das Volk wieder unterdrücken zu können«, so Golinger.

Erschienen am 31. März 2011 in der Tageszeitung junge Welt