Euphorie und Skepsis

Unter Lateinamerikas Linken herrscht Euphorie. Der Sieg von Andrés Manuel López Obrador alias »AMLO« bei der Präsidentschaftswahl in Mexiko am vergangenen Sonntag sei der »Beginn der Befreiung unserer Völker«, erklärte Boliviens Staatschef Evo Morales. Es habe sich gezeigt, »dass die neoliberalen Wirtschaftsmodelle der Rechten in Lateinamerika nicht mehr funktionieren«. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro äußerte den Wunsch, mit der neuen mexikanischen Regierung Beziehungen aufbauen zu können, »die sich auf umfassende Zusammenarbeit, die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten und den Respekt für die Selbstbestimmung unserer Völker« stützen. Kubas Staatsoberhaupt Miguel Díaz-Canel gratulierte López Obrador zu dessen »historischem Sieg«.

Mit einem begeisterten »¡Viva México!« meldete sich aus Havanna das lateinamerikanische »Netzwerk von Intellektuellen und Künstlern zur Verteidigung der Menschheit« zu Wort. Der »Aufstieg einer Volksregierung im Heimatland von Miguel Hidalgo, Benito Juárez, Emiliano Zapata, Pancho ­Villa und Lázaro Cárdenas« stelle einen Einschnitt in der politischen Geschichte Lateinamerikas und der Karibik dar und werde die Kräfteverhältnisse zugunsten der Volkskämpfe und der progressiven Regierungen verändern. Die Kommunistische Partei Brasiliens (PCdoB) hob hervor, dass der Sieg der Linken in Mexiko eine »schwere Niederlage für die Rechte und den Imperialismus« und inmitten der konservativen Gegenoffensive in der Region eine Hoffnung für die Völker Lateinamerikas darstelle.

Keinen Grund zum Feiern sieht dagegen die Kommunistische Partei Mexikos (PCM). Über Twitter warnt sie davor, sich Illusionen über die neue Regierung hinzugeben: »Die Urnen haben bestätigt, was die Monopole zuvor in Mexiko vereinbart haben, eine Führung durch die neue Sozialdemokratie.« Schon die Ankündigung von López Obrador, die Autonomie der mexikanischen Zentralbank sowie »Finanz- und Steuerdisziplin« zu wahren, sei »mehr als genug«, um klarzumachen, »dass es keinen Wandel zugunsten der Arbeiter geben wird«. Auch das alternative Internetmagazin Zapateando zeigt sich skeptisch. Jedes einzelne Mitglied des künftigen Regierungskabinetts stehe für die Kontinuität des Neoliberalismus. López Obrador selbst habe bei einer Wahlkampfrede in Los Reyes Acaquilpan sogar bestritten, dass die Ausbeutung der Arbeiter in Mexiko ein Problem darstelle. Solche »klassischen Theorien« seien auf das Land nicht anwendbar, es müsse darum gehen, die Korruption zu bekämpfen.

Da passt dann auch ins Bild, dass die linksliberale Tageszeitung La Jornada am Dienstag die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump zur Schlagzeile machte, er werde »gute Beziehungen« mit López Obrador haben. Trump hatte am Vortag rund eine halbe Stunde mit dem Wahlsieger telefoniert und sich anschließend angetan von seinem künftigen Amtskollegen gezeigt. Die USA würden »unsere pulsierende Verbindung mit Mexiko im Interesse von Sicherheit und Wohlstand für unsere Bürger und unserer gemeinsamen demokratischen Werte vertiefen«, zitierte das Blatt den US-Präsidenten. Dessen Kontrahent Bernard »Bernie« Sanders gratulierte AMLO per Twitter: »Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, einen Kontinent zu schaffen, der ökonomische, soziale, rassische und umweltpolitische Gerechtigkeit anstelle von fremdenfeindlicher Spaltung schafft«, so der Politiker.

Erschienen am 4. Juli 2018 in der Tageszeitung junge Welt