EU stellt sich stur

Die EU-Außenminister wollen bei ihrem Gipfeltreffen heute in Luxemburg erneut über den 1996 beschlossenen sogenannten Gemeinsamen Standpunkt zu Kuba beraten, diesen aller Voraussicht nach jedoch nicht aufheben. Morgen werden dann in New York vermutlich wieder alle EU-Mitgliedsstaaten bei der UN-Vollversammlung für eine Verurteilung der US-Blockade gegen die Insel votieren. Die EU präsentiert sich widersprüchlich.

Der vom damaligen spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar durchgesetzte »Gemeinsame Standpunkt«, auf den sich die EU-Mitgliedsstaaten in ihren Beziehungen zu Kuba verpflichteten, macht »Fortschritte auf dem Weg zur Demokratie« in dem Karibikstaat zur Bedingung für einen Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Ausdrücklich heißt es in dem Papier, die EU werde »den derzeitigen Dialog (…) mit allen Sektoren der kubanischen Gesellschaft intensivieren, um (…) echte Fortschritte in Richtung auf eine pluralistische Demokratie zu fördern«. Bis heute ist Kuba das einzige Land weltweit, für das die Gemeinschaft ein solches Positionspapier verabschiedet hat. Auch deshalb sieht Kubas Botschafter in Berlin, Raúl Becerra Egaña, darin nicht nur eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten, sondern auch eine Diskriminierung seines Landes. »Der unilaterale ›Gemeinsame Standpunkt‹ der Europäischen Union stellt das wichtigste Hindernis für die Normalisierung der bilateralen Beziehungen dar«, sagte der Diplomat gegenüber jW. Für diese müsse die Respektierung der Souveränität und Gleichberechtigung der Staaten und ihrer gesetzlichen und institutionellen Ordnung sowie das Prinzip der Nichteinmischung die Grundlage sein.

In der vergangenen Woche hat die EU jedoch Signale in eine ganz andere Richtung ausgesandt. Bereits zum dritten Mal seit seiner Einführung 1988 wurde der mit 50000 Euro dotierte »Sacharow-Menschenrechtspreis« des Europäischen Parlaments an Regierungsgegner in Kuba verliehen. Damit genießen die Konterrevolutionäre des Karibikstaats mehr Aufmerksamkeit der EU-Parlamentarier als tatsächliche oder vermeintliche Menschenrechtsaktivisten irgendeines anderen Landes. Ausgezeichnet werden soll der von Christdemokraten und Konservativen nominierte Guillermo Fariñas, der in der ersten Jahreshälfte seinen mittlerweile 23. Hungerstreik gegen die Regierung in Havanna durchgeführt hatte. 1995 war Fariñas zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden, nachdem er an seinem Arbeitsplatz in einer Gesundheitseinrichtung eine Kollegin attackiert hatte. Daraufhin stilisierte er sich zu einem Opfer politischer Verfolgung und schloß sich konterrevolutionären Gruppierungen an. 2002 prügelte er dann mit einem Knüppel auf einen alten Mann ein, der gegen eine Aktion dieser Regierungsgegner protestiert hatte. Dafür wurde er als Wiederholungstäter zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, aber schon Ende 2003 aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustands entlassen. Seither lebt er in seinem Haus in Santa Clara.

Fariñas hat das Signal, das die EU-Rechte mit der Preisvergabe aussenden wollte, offenbar verstanden. Die Auszeichnung sei eine »Verpflichtung, die Demokratisierung Kubas bis zur letzten Konsequenz« zu erreichen. Die EU müsse den »Gemeinsamen Standpunkt« beibehalten, denn die kubanische Regierung versuche lediglich, ihr Image zu verbessern und habe nicht verstanden, daß die Zeit für Veränderungen gekommen sei, sagte er der spanischen Nachrichtenagentur EFE.

Für eine offizielle Aufhebung des »Gemeinsamen Standpunkts« wäre ein einstimmiger Beschluß der Außenminister erforderlich, dem sich jedoch vor allem Schweden und Tschechien widersetzen. Spanische Medien spekulierten zuletzt über einen Kompromiß, wonach das Dokument zwar formal in Kraft bleiben, die EU-Kommission aber zugleich bilaterale Verhandlungen mit Havanna führen solle. Vom Auswärtigen Amt in Berlin war dazu zunächst keine Stellungnahme zu bekommen.

Am Dienstag werden dann zum 19. Mal die Vertreter der 192 UN-Mitgliedsstaaten über einen kubanischen Antrag entscheiden, die US-amerikanische Wirtschafts-, Finanz- und Handelsblockade gegen die Insel zu verurteilen. Seit 1992 stimmte eine jährlich wachsende Zahl von Staaten – zuletzt 187 – der kubanischen Position zu, während neben den USA nur eine bis drei Regierungen dagegen votierten. Auch die EU-Staaten stimmen seit 1996 für die Anträge, während sie sich davor regelmäßig enthalten hatten. Damit reagierte die Union auf die exterritorialen Auswirkungen des seit damals in den USA geltenden Helms-Burton-Gesetzes, das auch nicht nordamerikanischen Unternehmen Strafen androht, wenn diese Geschäfte mit Kuba machen. Das Land beziffert die durch die seit rund einem halben Jahrhundert verhängte Blockade direkt verursachten Schäden auf über 100 Milliarden US-Dollar. Wenn Preissteigerungen und die Wertentwicklung der US-Währung berücksichtigt würden, käme man sogar auf einen Wert von über 751 Milliarden Dollar, heißt es in dem offiziellen Bericht, den Havanna den Vereinten Nationen vorgelegt hat.

Erschienen am 25. Oktober 2010 in der Tageszeitung junge Welt und am 26. Oktober 2010 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek