Eskalation in Venezuela

In Venezuela sucht die rechte Opposition die Machtprobe mit der Regierung. Für den heutigen Freitag haben die Gegner von Präsident Nicolás Maduro zu einem »zwölfstündigen Generalstreik« aufgerufen. Eine Eskalation droht zudem am 3. November. Für diesen Tag hat das Rechtsbündnis MUD (Tisch der demokratischen Einheit) eine Demonstration zum Präsidentenpalast Miraflores im Zentrum von Caracas angekündigt. Das weckt Erinnerungen an den 11. April 2002, als Heckenschützen das Feuer auf einen solchen Demonstrationszug eröffneten. Diese Provokation diente damals reaktionären Militärs und rechten Politikern als Vorwand für den Putsch gegen Hugo Chávez. Dieser wurde durch einen Volksaufstand und das Eingreifen loyaler Teile des Militärs innerhalb von 48 Stunden vereitelt.

Schon am Mittwoch hatten die Regierungsgegner Tausende Anhänger landesweit zu Demonstrationen mobilisiert. Dabei kam es zu Ausschreitungen, MUD-Anhänger attackierten Sicherheitskräfte und Einrichtungen des Nationalen Wahlrats (CNE). In San Antonio de Los Altos nahe Caracas erschossen Demonstranten einen Polizisten, als die Sicherheitskräfte eine Straßenblockade räumen wollten. Zwei weitere Beamte wurden verletzt. Innenminister Néstor Reverol teilte mit, dass zwei Tatverdächtige festgenommen worden seien.

Unterdessen ist unter den Oppositionsparteien ein offener Streit über Verhandlungen mit der Regierung entbrannt. Der Gesandte des Vatikans in Venezuela, Emil Paul Tscherrig, hatte am Montag mitgeteilt, dass Vertreter beider Seiten am Wochenende zusammenkommen würden. Dem widersprach wenige Stunden später der Oppositionspolitiker Henrique Capriles Radonski von der Partei Primero Justicia (PJ, Gerechtigkeit zuerst). Er habe davon »aus dem Fernsehen erfahren«. Das wies die eigentlich verbündete Organisation Un Nuevo Tiempo (UNT, Eine Neue Zeit) zurück. Parteichef Enrique Márquez sagte dem Sender Telesur, alle Führer der Opposition seien über die Initiative des Vatikans informiert gewesen, niemand habe das aus dem TV erfahren.

Erschienen am 28. Oktober 2016 in der Tageszeitung junge Welt