Entscheidung in Brasília

Im brasilianischen Senat wird am heutigen Mittwoch über die von der rechten Opposition angestrebte Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff abgestimmt. Wenn das Oberhaus das Impeachment billigt, muss die Staatschefin ihr Amt für zunächst 180 Tage ruhen lassen. Die Geschäfte übernimmt dann Vizepräsident Michel Temer, der auch deshalb zu den eifrigsten Unterstützern der Absetzung seiner Vorgesetzten zählt. Temers »Partei der demokratischen brasilianischen Bewegung« (PMDB), deren einzige inhaltliche Basis die Teilhabe an der politischen Macht ist, hatte im März die Koalition mit der Arbeiterpartei (PT) von Dilma Rousseff aufgekündigt.

Der Abstimmungstermin hatte zuletzt auf der Kippe gestanden, nachdem der geschäftsführende Präsident des Abgeordnetenhauses, Waldir Maranhão, am Montag (Ortszeit) die Mitte April erfolgte Zustimmung des Unterhauses für ungültig erklärt hatte. Er entschied auf Antrag von Rousseffs Verteidigung, dass die Gewissensfreiheit der Abgeordneten verletzt worden sei und das Votum deshalb wiederholt werden müsse. Dem hatte Senatspräsident Renan Calheiros umgehend widersprochen und seinem Amtskollegen »Spielchen mit der Demokratie« vorgeworfen. Eine Änderung des Terminplans lehnte Calheiros ab. Am Dienstag morgen kapitulierte Maranhão und annullierte die Annullierung der Abstimmung im Repräsentantenhaus. Er war an die Spitze der zweiten Kammer des brasilianischen Kongresses gekommen, nachdem das Oberste Bundesgericht in der vergangenen Woche Parlamentspräsident Eduardo Cunha abgesetzt hatte. Diesem wird vorgeworfen, sein Amt missbraucht zu haben, um Korruptionsermittlungen gegen seine Person zu behindern. Cunha hatte monatelang darauf gesetzt, durch das Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff von seinem eigenen Fall ablenken zu können.

Rousseff selbst hatte wohl von Anfang an nicht geglaubt, dass Maranhãos Entscheidung Bestand haben würde. Bei einer Veranstaltung mit Lehrern und Studenten im Präsidentenpalast in Brasília warnte sie schon am Montag vor Euphorie. Brasilien erlebe eine »Zeit der Tricks und Kniffe«, die Auseinandersetzung werde durch den Kampf entschieden, und diesen wolle sie bis zum Ende führen.

Brasiliens Linke wirft der Opposition vor, einen parlamentarisch kaschierten Staatsstreich durchzuführen. Die Präsidentin selbst betont, dass sie sich nichts vorzuwerfen habe, was einen Sturz rechtfertigen würde.

Erschienen am 11. Mai 2016 in der Tageszeitung junge Welt