Ende der Jagd auf Zelaya?

Offenbar vor dem Hintergrund der Vermittlungsbemühungen des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und seines kolumbianischen Amtskollegen Juan Manuel Santos bemüht sich die Justiz in Honduras, Hindernisse für eine Wiederaufnahme des Landes in die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) aus dem Weg zu räumen. Diese hatte nach dem Putsch vom 28. Juni 2009 die Mitgliedschaft des Landes suspendiert, bis in Honduras wieder verfassungsmäßige Zustände eingeführt seien. Am Montag (Ortszeit) entschied nun ein Berufungsgericht in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa, alle Korruptionsverfahren gegen den damals gestürzten Präsidenten José Manuel Zelaya einzustellen und die bestehenden Haftbefehle aufzuheben. Die juristischen Ermittlungen gegen den rechtmäßigen Präsidenten waren praktisch zeitgleich mit der Militäraktion gegen Zelaya eingeleitet worden. Neben dessen angeblichem Verfassungsbruch durch den Versuch, eine Volksabstimmung über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung einzuberufen, dienten die juristischen Ermittlungen den Putschisten als Rechtfertigung für ihren Staatsstreich.

Der für Korruptionsermittlungen zuständige Staatsanwalt Henry Salgado will die Entscheidung des Gerichts einem Bericht der Tageszeitung El Heraldo zufolge jedoch anfechten. Die Ermittlungen gegen Zelaya würden fortgesetzt, so Salgado, »denn annulliert werden die Verfahren, nicht die Tatsachen«. Die Anklagebehörde hatte nach dem Urteil des Gerichts 24 Stunden Zeit, Widerspruch einzulegen. Diese Frist lief am Dienstag abend (Ortszeit, nach jW-Redaktionsschluß) ab.

Der noch im Exil in der Dominikanischen Republik lebende Zelaya selbst bezeichnete die Einstellung der Verfahren als »gutes Zeichen«, das jedoch noch nicht das Ende der Verfolgung bedeute. Teile der Widerstandsbewegung interpretieren das Urteil als Manöver des Regimes des derzeitigen Staatschefs Porfirio Lobo, um beim nächsten OAS-Gipfel im Juni eine Aufhebung der Sanktionen gegen das Land zu erreichen. Tatsächlich sagte OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza am Dienstag, die Aufhebung der Verfahren gegen Zelaya sei »der erste Schritt« zur Rückkehr von Honduras in die Organisation.

Staatschef Lobo wird von der Widerstandsbewegung jedoch weiterhin nicht als legitimer Präsident anerkannt, weil seine Wahl im November 2009 unter Kontrolle der Putschisten und nicht unter demokratischen Bedingungen stattgefunden hat. Erst am Sonntag nutzte die honduranische Opposition den Tag der Arbeit, um mit Zehntausenden Menschen für eine Rückkehr Zelayas und für ein Ende der Repression gegen die sozialen Bewegungen zu demonstrieren. Einer am Montag veröffentlichten Statistik des in Wien ansässigen International Press Institute zufolge wurden in Honduras allein im vergangenen Jahr zehn Journalisten in Ausübung ihres Berufes ermordet, ohne daß die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden wären.

Erschienen am 4. Mai 2011 in der Tageszeitung junge Welt