Empört euch!

Als die »Empörten« in Spanien am vergangenen Wochenende ihre Protestcamps in Madrid, Barcelona und anderswo abbauten, dürfte mancher Politiker gehofft haben, daß der »Spuk« zu Ende wäre. Spätestens mit den Blockaden des katalanischen Parlaments am Dienstag und Mittwoch sowie ähnlichen Aktionen in anderen Städten ist diese Hoffnung zerstoben. Darauf deutet auch das zunehmend aggressivere Vorgehen der Polizei gegen die Protestierenden hin, nachdem die Demonstrationen in den vergangenen Wochen meist – von Ausnahmen wie in Barcelona abgesehen – toleriert wurden. Auch die Verhaftung linker Aktivisten wie im asturischen Candás dürfte dieselbe Stoßrichtung haben: Ihr habt genug gespielt, jetzt muß wieder Ruhe sein.

Zeitgleich legten Zehntausende Griechen zum dritten Mal in diesem Jahr mit einem Generalstreik ihr Land lahm, um gegen den von griechischer Regierung, EU und Internationalem Währungsfonds betriebenen Sozialkahlschlag zu protestieren. Auch in Athen wurde das Parlament belagert, wo die »Empörten« ohnehin seit Tagen mit einem Protestcamp ausharren. Deren symbolische Aktionen verbinden sich so mit gewerkschaftlichen Kämpfen und Streiks – und bringen die Regierung ins Wanken.

Einen »friedlichen Aufstand« fordert Stéphane Hessel, dessen im vergangenen Oktober erschienenes Manifest »Empört euch« zum Slogan der Bewegung in Europa geworden ist. Der 93 Jahre alte Kämpfer der französischen Résistance und Mitunterzeichner der Internationalen Charta der Menschenrechte fordert die Empörung gegen die »unerträglichen Dinge« dieser Welt, zum Beispiel die sich stetig vergrößernde Kluft zwischen den Ärmsten und den Reichsten.

Trotzdem ist es hierzulande noch erstaunlich ruhig. Blockaden werden zwar aus Stuttgart und aus Brokdorf gemeldet, hier und da wird gestreikt, aber die Regierung kann weiter vor sich hin werkeln, als wenn nichts wäre. Frau Merkel muß sich nicht mit einem Hubschrauber in den Bundestag bringen lassen, weil auf den Straßen kein Durchkommen mehr wäre. Und die Partei, die von ihrem eigenen Selbstverständnis und ihrer eigenen Entstehungsgeschichte her antreibende Kraft der Proteste sein müßte, beschäftigt sich lieber mit herbeihalluziniertem Antisemitismus in den eigenen Reihen.

Als in Spanien am vergangenen Sonntag Tausende in Valencia vor dem Parlament während dessen konstituierender Sitzung demonstrierten und die Polizei auf sie einprügelte, verließen die frisch gewählten Abgeordneten der Vereinigten Linken den Plenarsaal, kletterten über die Absperrgitter und reihten sich in die Protestkundgebung ein. Wann haben wir so etwas hierzulande zuletzt gesehen?

Erschienen am 16. Juni 2011 in der Tageszeitung junge Welt