Eklat in Washington

Für Roy Chaderton, Venezuelas Botschafter bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Washington, war es »ein weiterer Sieg von Hugo Chávez«. Im Gespräch mit dem Fernsehjournalisten Walter Martínez verglich der Diplomat den am 5. März verstorbenen Präsidenten seines Landes sogar mit »El Cid«, dem spanischen Nationalhelden Rodrigo Díaz de Vivar (1043–1099). Wie dieser könne Chávez noch über seinen Tod hinaus Schlachten gewinnen.

 

Anlaß für solche Worte war ein Eklat, der sich am Freitag am Sitz der OAS ereignet hatte. Das von dem Chilenen José Miguel Insulza geleitete Sekretariat hatte eine protokollarische Sitzung des Ständigen Rates der Kontinentalorganisation einberufen, auf der Federico Franco sprechen sollte. Dieser ist seit Juni 2012, seit dem Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten von Paraguay, Fernando Lugo, De-facto-Staatschef des südamerikanischen Landes. Der Sturz Lugos war damals von allen Nachbarstaaten als »parlamentarischer Putsch« verurteilt worden, die Mitgliedschaft Paraguays in der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) und im Gemeinsamen Markt des Südens (MERCOSUR) ist seither suspendiert.

Schon vor diesem Hintergrund mußten die Südamerikaner die Einladung des Putschisten als Affront werten. Hinzu kamen jedoch Ausfälle Francos in der vergangenen Woche. Es sei ein »Wunder«, daß Chávez »vom Antlitz der Erde verschwunden« sei, wetterte er während eines Besuchs in Spanien. Der venezolanische Präsident habe Paraguay großen Schaden zugefügt und sei für »Mord und Entführungen« verantwortlich, behauptete Franco.

Daraufhin forderten Venezuela, Bolivien, Nicaragua und Ecuador in einer offiziellen Note, Franco auszuladen und dessen Rede in der OAS abzusagen. In dem von Boliviens Botschafter, Diego Pary, veröffentlichten Schreiben heißt es: »Wir legen unseren energischen Protest gegen die Durchführung der protokollarischen Sitzung sowie die Erklärungen des Herrn Federico Franco ein und teilen mit, daß wir an der genannten Sitzung nicht teilnehmen und unsere Sitze leer bleiben werden.« Diesem Boykottaufruf schlossen sich am Freitag 21 der 34 Mitgliedsstaaten der OAS an, so daß sich nur 13 Delegationen im »Salon der Amerikas« der OAS einfanden. Auch von diesen hatten acht nur niederrangige Diplomaten zum Zuhören geschickt, so daß Franco schließlich vor gerade einmal fünf Botschaftern sprach. Bei der Videoübertragung der Rede im Internet achtete die Regie deshalb darauf, keinen Kameraschwenk ins Publikum zuzulassen, um den Zuschauern den Anblick der leeren Plätze zu ersparen.

»Eine so aktive kollektive Ablehnung wie am Freitag hat es in der OAS noch nicht gegeben«, unterstrich Chaderton und konnte sich einen Seitenhieb auf die Opposition im eigenen Land nicht verkneifen. Diese »Genies« hätten schon lange »den Kontakt zur Realität verloren und behaupten noch immer, daß Chávez Venezuela isoliert habe«.

Caracas dankte den anderen Staaten des Kontinents in einer offiziellen Erklärung: »Diese Haltung spiegelt die Unterstützung der Regierungen Lateinamerikas und der Karibik für die Integration und die demokratische Einheit wider und bekräftigt zugleich die Solidarität und Herzlichkeit gegenüber dem venezolanischen Volk sowie den Respekt für das Andenken und die Würde des Obersten Comandante der Bolivarischen Revolution, Hugo Chávez.«

Erschienen am 8. April 2013 in der Tageszeitung junge Welt