Einpeitscher in Kiew

Eine diplomatische Lösung der Krise in der Ukraine bleibt in weiter Ferne. Die Tagung der Außenminister des Europarates am gestrigen Dienstag in Wien brachte keine Fortschritte. Auch ein bilaterales Treffen zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und dem Chefdiplomaten des ukrainischen Regimes, Andrij Deschtschizja, über das im Vorfeld westliche Medien spekuliert hatten, kam nicht zustande. Lawrow wollte offensichtlich vermeiden, daß eine solche Unterredung als Anerkennung der Machthaber in Kiew durch Moskau interpretiert werden könnte.

 

Eine von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Dienstag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ins Spiel gebrachte Neuauflage der Genfer Ukraine-Konferenz erscheint ebenfalls wenig wahrscheinlich. Eine solche Tagung habe nur Sinn, wenn auch die Gegner des Kiewer Regimes mit am Verhandlungstisch säßen, betonte Lawrow. Deschtschi­zja wies das umgehend zurück. »Wir vertreten als ukrainische Regierung alle Regionen der Ukraine«, behauptete er. Nahezu zeitgleich lehnte es die Rada, das Parlament in Kiew, ab, die Bürger des Landes am 25. Mai über eine föderale Verfassung entscheiden zu lassen. Der Abgeordnete Olexander Brihinez von der Timoschenko-Partei »Vaterland« sagte laut der dem Regime nahestehenden Agentur Ukrinform, ein Referendum könne »nicht während des Krieges« durchgeführt werden. Für die Präsidentschaftswahl, die am selben Tag stattfinden soll, gilt das offenbar nicht.

Schon zuvor hatte die Rada für einen Eklat gesorgt, als sie die komplette Fraktion der Kommunistischen Partei (KPU) von einer Debatte über den Militäreinsatz im Osten des Landes ausschloß. Der Abgeordnete Oleg Ljaschko von der Radikalen Partei, der den Ausschluß der Kommunisten beantragt hatte, lobte anschließend das »historische Ereignis« und erklärte: »Ich hoffe, daß wir diese Verbrecherpartei bald verbieten.« Auslöser für den Rauswurf der Fraktion war offenbar ein Antrag von KPU-Chef Petro Simonenko gewesen, in öffentlicher Sitzung über die Morde an Zivilisten in Donezk, Luhansk und Odessa zu diskutieren.

In einer Erklärung warnte die KPU anschließend, nicht die »Separatisten«, sondern die »Neonazijunta« in Kiew treibe die Ukraine in einen Bürgerkrieg und zerstöre die territoriale Integrität des Landes. An ihren Händen klebe das Blut Hunderter unschuldiger Zivilisten, die durch die von ihr illegal gebildeten paramilitärischen Gruppen ermordet worden seien. Die Parlamentsmehrheit beschloß hingegen am Dienstag nach Angaben der Agentur Interfax, allen Teilnehmern der »Antiterroroperation« im Osten des Landes den Status regulärer Kombattanten zuzuerkennen. So bekommen auch die Todesschwadronen des »Rechten Sektors«, die unter anderem für das Massaker von Odessa am vergangenen Freitag verantwortlich gemacht werden, einen quasi-legalen Status.

In der Schwarzmeerstadt mehren sich inzwischen Hinweise darauf, daß die Zahl der am 2. Mai im Gewerkschaftshaus ermordeten Menschen weit höher liegt als bislang angenommen. Offiziell ist die Rede von 46 Todesopfern. Nach Angaben des Kommunalabgeordneten Wadim Sawenko starben in dem brennenden Gebäude jedoch 116 Personen. Einige von diesen seien erschossen worden, das Feuer sollte dann anschließend die Spuren der Mörder vernichten. Der ukrainische Fernsehsender TSN meldete am Montag, seit dem Massaker würden noch 48 Menschen vermißt.

Erschienen am 7. Mai 2014 in der Tageszeitung junge Welt