Eine Atempause

Kolumbiens Richter haben einer besonders groben Verfassungsverletzung durch den früheren Staatschef Álvaro Uribe einen Riegel vorgeschoben. Dieser hatte sich über die Befugnisse des Parlaments hinweg-gesetzt und auf eine Ratifizierung des Vertrags verzichtet, der den USA die Einrichtung von sieben Militärbasen in dem südamerikanischen Land gestattet. Auslöffeln muß die Suppe nun Uribes Nachfolger Juan Manuel Santos. Doch Mitleid ist fehl am Platz, denn Santos hat sie sich selbst mit eingebrockt. Als damaliger Verteidigungsminister hatte er ein wichtiges Wort mitzusprechen, als die Einrichtung der Basen zwischen Bogotá und Washington ausgekungelt wurde, um einen Ersatz für den von Ecuador geschlossenen Stützpunkt in Manta zu schaffen. Die autoritäre Logik eines Uribe, der nur auf Waffengewalt setzte und auf Recht und Gesetz pfiff, wenn sie ihm im Wege waren, ist ebenso die Logik von Santos. Daran ändern zunächst auch die zaghaften Friedens- und Versöhnungsgesten nichts, die er in den ersten Tagen seiner Amtszeit ausgesendet hatte. Die jüngsten Äußerungen des Staatschefs deuten eher darauf hin, daß er wieder im Gleichschritt mit seinen Generälen marschiert.

Damit dürfte die nächste Krise in Südamerika programmiert sein. Ohne eine Beendigung des seit Jahrzehnten andauernden Bürgerkrieges in Kolumbien ist dauerhafte Stabilität in der Region unmöglich. Der Konflikt zieht immer wieder die Nachbarländer in seine Gewalt, wie Ecuador und Venezuela, aber auch Brasilien, Peru und Panama immer wieder spüren mußten. Die Hoffnung der in Bogotá Herrschenden aber, den Konflikt militärisch zu lösen, wird nicht aufgehen. 2008 hatten sich die kolumbianischen Militärs ihrem Ziel schon ganz nahe gewähnt, als sie der Guerilla schwere Schläge versetzen und mehrere hohe Comandantes der FARC töten konnten. Doch seither hat sich die Guerilla wieder erholt, wie das kolumbianische Institut »Nuevo Arco Iris« vor wenigen Tagen in einem umfangreichen Report feststellte. Demnach kontrolliert die Staatsmacht zwar die Städte und wichtigsten Produktionszentren, aber nur rund die Hälfte des Landes.

Die Wurzeln dieses Krieges sind politischer und sozialer Natur, deshalb kann es auch nur eine politische und soziale Lösung geben. Die liberale Senatorin Piedad Córdoba und andere einflußreiche Persönlichkeiten Kolumbiens plädieren für einen humanitären Gefangenenaustausch als ersten Schritt zu einer Lösung auf dem Verhandlungsweg. Weitere Militärbasen werden hingegen den Krieg weiter verschärfen, und sie lassen die Gefahr eines Übergreifens des Konflikts auf die Nachbarländer wachsen. Das Urteil der Verfassungsrichter in Bogotá bedeutet deshalb eine Atempause. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Santos hat nun ein Jahr Zeit, sich zu entscheiden, ob er weiter den Kriegspfad seines Vorgängers Uribe einschlagen will oder die Chance zum Umlenken wahrnimmt.

Erschienen am 19. August 2010 in der Tageszeitung junge Welt