Doppelte Unterdrückung

Am 9. November sollen die Katalanen entscheiden, ob sie einen eigenen, von Spanien unabhängigen Staat bilden wollen. Zur Abstimmung stehen zwei Fragen: Ob Katalonien einen Staat bilden soll und – wenn der erste Punkt mehrheitlich bejaht wird – ob dieser Staat unabhängig sein soll. Darauf einigte sich Mitte Dezember eine Mehrheit der im katalanischen Regionalparlament vertretenen Parteien, von der bürgerlichen CiU bis zu den linken Listen ERC, ICV und CUP. Neben den Rechten verweigerte lediglich die sozialdemokratische PSC, das regionale Pendant zur spanischen PSOE, ihre Zustimmung. Ein solches Referendum müsse mit der Zentralregierung vereinbart und im Rahmen der spanischen Gesetze durchgeführt werden, betonte PSC-Fraktionschef Maurici Lucena Ende Dezember gegenüber Journalisten. Das Kabinett von Ministerpräsident Mariano Rajoy in Madrid verweigert jedoch eine Volksbefragung. Die Verfassung verbiete die Abspaltung eines Teils von Spanien, heißt es von dort.

 

Sergi Perelló hält deshalb Gespräche mit der von der rechten Volkspartei (PP) gestellten Regierung für aussichtslos. Der stellvertretende Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes CSC-Intersindical macht zudem Madrid für die jüngste Radikalisierung der Abspaltungsbestrebungen verantwortlich. »Historisch gesehen war die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien immer schwach«, erklärte er im Gespräch mit junge Welt. Die Region habe über Jahrzehnte versucht, mit Spanien zu einer Verständigung zu kommen, die eine Perspektive innerhalb des Staates ermöglicht hätte. Zuletzt habe das katalanische Parlament 2005 in Absprache mit dem spanischen Parlament ein neues Autonomiestatut ausgearbeitet, das die noch aus der Übergangsperiode nach dem Tod des Diktators Francisco Franco 1975 stammenden Bestimmungen über Rechte und Pflichten der Region ablösen sollte. In Madrid wurde dieses Dokument jedoch auf Betreiben der damals noch oppositionellen PP kassiert.

Für Perelló und seinen Gewerkschaftsbund gibt es deshalb keine Alternative zu der Unabhängigkeit der Region, die praktisch eine Kolonie Spaniens sei: »Katalonien leidet heute und letztlich seit Jahrhunderten unter doppelter Unterdrückung, nationaler und sozialer. In den vergangenen Jahren hat sich diese Repression durch den Spanischen Staat noch zugespitzt.« In der Folge hätten die Arbeiter nicht nur mit Einkommensverlusten zu kämpfen, sie würden zurück in eine überwunden geglaubte Armut gestoßen. Schuld daran sei »eine spanische Oligarchie, die keinerlei Anstrengungen unternommen hat, das Land zu industrialisieren, statt dessen entzieht sie ihm öffentliche Ressourcen, um diese für eigene Belange zu verwenden.« Während Flughäfen errichtet wurden, die nie in Betrieb gingen oder nach wenigen Jahren wieder stillgelegt wurden, habe man mit Verweis auf Geldmangel öffentliche Dienstleistungen privatisiert oder gestrichen.

Diese Kritik der kleinen CSC-Intersindical teilen auch die großen Gewerkschaften. Die beiden größten Verbände, CCOO und UGT, vertreten in Katalonien rund 90 Prozent der organisierten Arbeiter. Und sie sehen sich in einer Zwickmühle, wie sie auf das bevorstehende Referendum reagieren sollen.

Während sich die Zentrale der UGT in Madrid wegduckt und praktisch nichts zu den Loslösungsbestrebungen Kataloniens verlauten läßt, kommt der regionale Arm dieses sozialdemokratisch orientierten Verbandes in Barcelona nicht so einfach davon. Im Dezember begrüßte man dort die Festlegung des Datums und der genauen Fragestellung des Referendums »über die Zukunft Kataloniens«. Gefordert wird nun eine »Zeit der Diskussion«, in der die Vertreter jeder Option ihre Vorstellungen präsentieren sollen. Die UGT interessiert sich dabei vor allem dafür, welches »sozioökonomische Modell für unser Land« die jeweiligen Seiten vorschlagen, damit die Bürger darüber entscheiden können. An Madrid gewandt fordert die katalanische UGT, die Durchführung des Referendums zu ermöglichen.

Ähnlich ist die Lage bei den Arbeiterkommissionen CCOO. Auch hier schweigt die Madrider Zentrale. Der katalanische Generalsekretär des einst im Widerstand gegen die Franco-Diktatur entstandenen Verbandes, Joan Carles Gallego, sieht sich hingegen in der Pflicht. »Ich kann nicht anders leben als der Arbeiter, den ich vertrete«, erklärte er am Silvestertag im Gespräch mit dem Onlineportal Público. »In diesem Land sind die nationalen Rechte immer mit den sozialen Rechten einhergegangen«, wollte er in dem Interview auch eine Unabhängigkeit Kataloniens nicht ausschließen. »Alles ist möglich, aber die nationale Debatte und die soziale Debatte müssen parallel laufen. Wir wollen, daß in Zukunft die Menschen besser leben und wir freier sind«, erklärte Gallego. Ob eine Unabhängigkeit dies erreichen könne, hänge davon ab, wer die politische Hegemonie habe: »Es gibt gute und schlechte Republiken, man kann nichts vorwegnehmen.« In jedem Fall sei jedoch eine umfangreichere und bessere Selbstregierung Kataloniens notwendig, weil sich das gegenwärtige Modell erschöpft habe. »Die Dinge müssen verändert werden. In welche Richtung? In die, die von den Menschen entschieden wird.«

Eine ausdrückliche Empfehlung, wie ihre Mitglieder beim Referendum im November abstimmen sollen, ist CCOO und UGT nicht zu entlocken. Für die CSC-Intersindical ist die Frage hingegen klar, sie mobilisiert für das doppelte »Ja« zum eigenen Staat und zur Unabhängigkeit. Perelló hofft, daß ein Erfolg der Abstimmung auch die Klassengegensätze klarer macht: »Derzeit steht die Politik in Katalonien auf vier Säulen: Katalanisten und Spanientreue, links und rechts. Wenn die nationale Frage gelöst ist, steht nur noch links gegen rechts.«

Erschienen am 7. Januar 2014 in der Tageszeitung junge Welt