Der Kriegstreiber

Illusionen über den neuen Staatschef von Kolumbien zu haben, könnte lebensgefährlich sein. Juan Manuel Santos hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, daß er bereit ist, buchstäblich über Leichen zu gehen, um seine Ziele zu erreichen. Er war der Einpeitscher und Kriegstreiber in der Regierung, während der scheidende Präsident Álvaro Uribe zumindest gelegentlich Sinn für die Realitäten zeigte. Unter Santos als Verteidigungsminister überfielen kolumbianische Truppen am 1. März 2008 ein Lager der FARC-Guerilla auf dem Staatsgebiet Ecuadors. Opfer dieses Angriffs, der Südamerika an den Rand eines Krieges brachte, wurden nicht nur der Comandante Raúl Reyes und andere Mitglieder der FARC, sondern auch mehrere mexikanische Studenten, die sich nach einem internationalen Treffen der bolivarischen Bewegung in Quito zu dem Lager begeben hatten, um sich aus erster Hand über die Positionen der Guerilla zu informieren.

Ebenso verletzte Santos einige Monate später das in internationalen Verträgen festgelegte Verbot, Symbole des Roten Kreuzes zu mißbrauchen. Bei einer Geheimdienstoperation zur Befreiung von Ingrid Betancourt, mehreren Soldaten und US-Söldnern aus der Hand der Guerilla wurden die eingesetzten Hubschrauber mit Symbolen der Hilfsorganisation ausgestattet, um die Guerilleros zu täuschen. Damit entzog Santos jeder humanitären Vermittlungsrolle des Roten Kreuzes ganz bewußt den Boden.

Ein Kurswechsel ist nicht zu erwarten. Santos’ Losung ist die »nationale Einheit«. Für ihn heißt das: Wer nicht mit mir übereinstimmt, ist ein Feind. Das war schon bisher Regierungspolitik: Allein seit Jahresanfang wurden in Kolumbien 31 Gewerkschafter ermordet. Den perfekten Beziehungen zwischen Bogotá und Berlin tut das jedoch keinen Abbruch. Deutschland ist der größte Handelspartner des südamerikanischen Landes in der EU. Menschenrechtsfragen werden nur ganz am Rande angesprochen, auf der Homepage des Auswärtigen Amts brüstet man sich: »Kolumbien weiß die zwar kritische, aber ausgewogene Haltung Deutschlands in der für das Land schwierigen Menschenrechtsdiskussion zu schätzen.«

Dabei bräuchte Kolumbien dringend ein Umsteuern. Großgrundbesitz, Vertreibungen, die fehlende Entwicklung in den ländlichen Regionen, illegale Machenschaften von Regierung und Streitkräften wie die Morde an unschuldigen Jugendlichen, damit das Militär »gefallene Guerilleros« präsentieren konnte – aus solchen Bedingungen entstehen Aufständische. Solange dies nicht überwunden wird, wird auch die Guerilla nicht besiegt werden können, schon gar nicht militärisch. Aber auch in Kolumbien gibt es Kräfte, die am Krieg gut verdienen: Militärs, Rüstungskonzerne, Waffenhändler, außerdem die Drogenmafia und das organisierte Verbrechen, die in einem Klima allgemeiner Gewalt ungehindert ihre »Geschäfte« machen können. Mit Juan Manuel Santos hat ihr Favorit gewonnen.

Erschienen am 22. Juni 2010 in der Tageszeitung junge Welt