Deftige Abfuhr

Die Richter des Oberlandesgerichts in Schleswig-Holstein haben ihren spanischen Kollegen mit der Entscheidung vom Donnerstag abend über die Auslieferung des früheren katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont eine deftige Abfuhrverpasst. Sie haben den Vorwurf der »Rebellion« verworfen, weil dem Verhalten des Politiker das »Merkmal der ›Gewalt‹« gefehlt habe.

Wenn das aber so ist, dann dürfte auch der von Madrid ausgestellten Haftbefehl gar nicht existieren – denn ohne Gewalt kann es auch nach den spanischen Gesetzen keine »Rebellion« geben. Doch obwohl die katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter seit Jahren friedlich für ihre Ziele eintreten, sitzen neun Repräsentanten dieser Bewegung teilweise seit mehr als einem halben Jahr im Gefängnis – weil die spanischen Richter den Gewaltbegriff einfach so weit auslegen, bis es zur Begründung eines Haftbefehls reicht.

Schon deshalb ist es verwunderlich, warum die Richter in Schleswig zu dem Schluss kommen konnten, dass eine Gefahr politischer Verfolgung in Spanien »nicht ersichtlich« sei. Aber die politische Justiz des Königreichs richtet sich nicht nur gegen Aktivisten, die die heilige Einheit der spanischen Nation in Frage stellen. Gewerkschafter sitzen in Haft, weil sie Streikposten gestanden haben. Musiker wurden wegen der Texte ihrer Lieder zu Gefängnisstrafen verurteilt. Friedlichen Demonstranten drohen horrende Strafen, wenn sie an einer nicht genehmigten Kundgebung teilnehmen. Tweets und Facebookeinträge reichen, um für Jahre hinter Gittern zu verschwinden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in den vergangenen Jahren wiederholt festgestellt, dass in spanischen Gefängnissen gefoltert wird und – meist baskischen – politischen Gefangenen Entschädigungen zugesprochen.

Ganz anders agiert die Justiz seiner Majestät, wenn es um Korruptionsverfahren gegen Repräsentanten der spanischen Regierungspartei PP oder Mitglieder der Königsfamilie geht. Diese ehrenwerten Herrschaften bleiben nicht nur auf freiem Fuß, sondern sogar in Amt und Würden.

Es ist diese völlige Maßlosigkeit des spanischen Rechtssystems, die es nun zu einem europäischen Thema gemacht hat. Auch Konservative sind alarmiert, weil von der Repression nicht mehr nur – wie in vergangenen Jahrzehnten – radikale Linke betroffen sind, denen man militante Aktionsformen vorwerfen konnte. Inzwischen richtet sich der Furor der spanischen Justiz gegen gediegene bürgerlich-liberale Politiker wie ­Puigdemont und seine Kollegen. Damit aber verletzt Madrid die Regeln des sorgfältig inszenierten westlichen Politikbetriebes.

Schön – allerdings wenig wahrscheinlich – wäre, wenn die deutsche Justiz ihren gegenüber Spanien angelegten Maßstab auch zu Hause anwenden würde. Die Rachejustiz gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Proteste gegen den G-20-Gipfel 2017 in Hamburg hat zum Beispiel mit Rechtsstaatlichkeit ebenfalls längst nicht mehr viel zu tun. Aber da geht es ja gegen Linke und – angeblich – Militante. Noch.

Erschienen am 7. April 2018 in der Tageszeitung junge Welt