Daniel Viglietti (rechts) mit Venezuelas amtierendem Präsidenten Nicolás Maduro. Foto: Claudia Schröppel

»Das, was Capriles tut, ist niederträchtig«

Daniel Viglietti (rechts) mit Venezuelas amtierendem Präsidenten Nicolás Maduro. Foto: Claudia SchröppelGespräch mit Daniel Viglietti, geboren 1939 in Monte­video, einer der ­berühmtesten Protestsänger Uruguays und Lateinamerikas

Sie haben am Freitag in Caracas Ihr neues Lied »Bolivariano« vorgestellt. Was hat Sie dazu bewogen, Venezuela ihren neuen Titel zu widmen?

Ich habe Venezuela 1974 kennengelernt, damals noch als konservative Klassengesellschaft mit erschreckenden Unterschieden zwischen Armen und Reichen. In den folgenden Jahren habe ich das Land immer wieder besucht und dabei erlebt, wie sich unter der Regierung von Hugo Chávez eine andere Lebenskonzeption durchgesetzt hat. Von jedem meiner Aufenthalte habe ich etwas aus Venezuela mitgenommen, so daß ich daheim in Montevideo, Uruguay, immer häufiger gedacht habe: Daraus mußt du ein Lied machen!

 

Dieses Lied, »Bolivariano«, habe ich in aller Eile vor ein paar Wochen geschrieben. Den Anstoß dazu gab mir das uruguayische Dorf Bolívar, dem Chávez bei einem Besuch eine Brücke gespendet hatte, um die Lebensbedingungen der Menschen zu erleichtern. Dieses kleine Dorf mit gerade einmal 200 Einwohnern ist dem verstorbenen Präsidenten Venezuelas zutiefst dankbar.

Nach dessen Tod gab es dort eine große Gedenkzeremonie, an der Präsident Pepe Mujica, Repräsentant des Linksbündnisses Frente Amplio, und hohe Würdenträger teilgenommen haben. Dort habe ich erstmals dieses Lied vorgestellt, das ich jetzt auch in Venezuela singe. Ich konnte es unter anderem bei der großen Abschlußveranstaltung des Wahlkampfes von Nicolás Maduro vortragen, vor Millionen Menschen, inmitten von Freude und Begeisterung.

Wie bewerten Sie die Wahlen in Venezuela?

Die Wahlen zeichnen sich durch große Transparenz aus. Der frühere US-Präsident Jimmy Carter hat einmal gesagt, das Wahlsystem Venezuelas sei das perfekteste der Welt. Das widerlegt all die Lügen, die verbreitet werden, und all die Behauptungen der Rechten. Deshalb fühle ich mich auch sehr wohl hier.

Wie beurteilen Sie es, daß der Oppositionskandidat Henrique Capriles Radonski bei seinen Wahlkampfkundgebungen Lieder des linken Protestsängers Alí Primera gespielt hat?

Capriles ist Opportunist und Lügner, doch Lügen haben bekanntlich kurze Beine – und Opportunismus ist ein Verrat an der Wahrheit. Das, was Capriles tut, ist niederträchtig, denn er weiß genau, daß der Weg meines Freundes Alí Primera nichts mit seinen reaktionären und faschistischen Ideen zu tun hat. Capriles ist fähig, jedes Bild und jedes Image zu nutzen, um die Menschen zu betrügen.

Welche Bedeutung hat die Entwicklung in Venezuela für die Kultur in diesem Land und darüber hinaus?

Ich habe hier in Venezuela erlebt, wie zum Beispiel die Zahl von Sängern und Musikern enorm zugenommen hat. Neulich hat mich ein Rocksänger angesprochen, der von mir ein Lied haben wollte, aus dem er eine Rockversion machen könnte. Auch der Rap hat sich durchgesetzt, es gibt hier viele Rapper. Das Kulturangebot hat sich vervielfacht Ich war vor einem Jahr bei der Internationalen Buchmesse hier in Caracas und habe an einer Hommage für Mario Benedetti teilgenommen. Er war mein Freund und Partner bei Konzerten, in denen wir Musik und Poesie verbanden.

Bei dieser Gelegenheit habe ich erlebt, welche Begeisterung die Venezolaner für das Lesen entwickelt haben, Tausende konnten Bücher zu sozial verträglichen Preisen erwerben. Hier werden also große Anstrengungen für die Kultur unternommen, und das sagt vieles über dieses Land aus. Ich habe einmal gesagt: Diktatur und Kultur passen nicht zusammen.

Erschienen am 15. April 2013 in der Tageszeitung junge Welt