Das Parlament erklärt den Krieg

Die venezolanische Nationalversammlung hat am Sonntag (Ortszeit) mit der Mehrheit der zum Kabinett in Opposition stehenden Abgeordneten einen Beschluss gefasst, in dem der Regierung ein »Staatsstreich« und der Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung vorgeworfen wird. Dem Papier zufolge sollen die Direktoren des Nationalen Wahlrats (CNE) und weitere »für die politische Verfolgung des Volkes von Venezuela Verantwortliche« vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden. Sowohl die Führung der Wahlbehörde als auch die Richter des Obersten Gerichtshofs sollen abgesetzt werden. Zudem werde in einer Sondersitzung am heutigen Dienstag über die »verfassungsmäßige Lage der Präsidentschaft« entschieden. Das Militär wird aufgerufen, Anordnungen der Regierung, der Justiz und der Wahlbehörde zu missachten.

In den Augen der Unterstützer von Präsident Nicolás Maduro handelt es sich bei dem Beschluss der rechten Abgeordneten um den Versuch eines »parlamentarischen Putsches« nach dem Beispiel von Honduras, Paraguay und Brasilien.

Der sozialistische Abgeordnete Earle Herrera verglich in der Parlamentsdebatte die Beschlussvorlage der Opposition mit einem Dekret, das Kurzzeit-Diktator Pedro Carmona am 11. April 2002 erlassen hatte. Damals hatte eine Allianz aus rechten Politikern und reaktionären Militärs Staatschef Hugo Chávez gestürzt und verschleppt. In dem Dekret ordnete der selbsternannte »Präsident« Carmona die Absetzung der Vertreter aller Staatsgewalten an. Realisiert werden konnte der Befehl nicht, weil ein Volksaufstand den Putsch innerhalb von 48 Stunden vereitelte und Chávez an die Macht zurückkehrte. »Was Sie heute hier in der Nationalversammlung verabschieden wollen, ist dasselbe Dekret«, erklärte Herrera.

Vor dem Parlamentsgebäude demonstrierten Anhänger der Regierung und Mitglieder linker Parteien gegen das Vorgehen des rechten Lagers. Mehreren hundert Demonstranten gelang es, in den Hof der Nationalversammlung und unter Rufen »Das vereinte Volk wird nicht besiegt werden« bis in den Plenarsaal zu gelangen. Der sozialistische Bürgermeister von Caracas, Jorge Rodríguez, sowie der Regierungschef des Hauptstadtdistrikts, Daniel Aponte, konnten schließlich die Gemüter beruhigen und die Demonstranten zum Verlassen des Parlamentsgebäudes zu bewegen. Während des Zwischenfalls wurde Oswaldo Rivero, der im staatlichen Fernsehen VTV das Jugendprogramm »Zurda Konducta« moderiert, verletzt. Wie er anschließend erklärte, hatte ihm ein Sicherheitsmann der Opposition einen Stuhl auf den Kopf geschlagen, als er über die Situation berichtete.

Am Donnerstag hatte der CNE die für diese Woche vorgesehene Sammlung von Unterschriften für ein Amtsenthebungsreferendum gegen Maduro vorläufig gestoppt, nachdem das mehrere Gerichte wegen Manipulationen im Vorfeld angeordnet hatten (jW berichtete). Die Sitzungen der Nationalversammlung gelten nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs seit Monaten als ungültig, weil das Parlamentspräsidium Anordnungen der obersten Richter missachtet.

Erschienen am 25. Oktober 2016 in der Tageszeitung junge Welt