Das große Aufräumen

Verlierer und Gewinner werden abtransportiert: In Bayern hat am Montag das große Aufräumen begonnen, die Wahlplakate werden abgehängt und zurück in die Depots gebracht. Damit verschwinden die Porträtfotos von Kandidaten aus dem Straßenbild, die man nicht kannte, nicht kennen wollte und in den meisten Fällen auch nicht mehr kennenlernen wird. Autofahrer können aufatmen, denn mancherorts war die Flut der Plakate so penetrant, dass Verkehrszeichen unterzugehen drohten. Die Slogans waren austauschbar wie eh und je: »Zukunft im Kopf, Bayern im Herzen« (SPD) oder »Du willst es? Dann wähl es« (Grüne) gegen »Söder macht’s«.

»Mehr für die Mehrheit«, versprach Die Linke und spulte ebenso routiniert wie langweilig ihren Standardwahlkampf ab: Alles irgendwie richtig, aber immer brav genug, um niemanden zu verschrecken. Selbst als es in den Umfragen zeitweilig so aussah, als wenn man auf fünf Prozent kommen und damit den Einzug in den Landtag schaffen könnte, kam man kaum aus dem Trott. Das ist durchaus überraschend, denn der Wahlkampf in Bayern war mehr als früher von einem Aufbegehren gegen die festgefahrenen Verhältnisse im Freistaat geprägt. Zu lange nicht mehr gesehenen Großdemonstrationen wie gegen das neue Polizeiaufgabengesetz oder gegen die rassistische Hetze der CSU und AfD konnten Zehntausende Menschen nach München, Nürnberg und in andere Städte mobilisiert werden. Dort waren die Fahnen der Linken zu sehen, und oft gehörten ihre Mitglieder zu den Organisatoren – doch auf den Wahlplakaten spiegelte sich das kaum wieder. Im Wahlspot der Linken, der im Fernsehen ausgestrahlt wurde, ging es um Pflegenotstand, schlechte Busverbindungen auf dem Land und Armut – wichtige Themen, doch um eine klare Ansage gegen die rassistische Hetze von rechts drückte man sich in diesem Video herum.

So konnten die Grünen die Ernte einfahren. Sie präsentierten sich offensiv als »menschlicher« Gegenpol zu den Rechten und forderten offene Grenzen, »weil die bayerische Wirtschaft und unsere vielfältige, bunte Gesellschaft vom Austausch leben«. Zugleich schielten sie offen auf die Regierungsbänke und buhlten um eine Koalition mit der CSU. Schwer vorstellbar, dass in einer solchen von den Themen, die die Grünen in den Wahlkampf eingebracht haben – Integration von Flüchtlingen, Schutz von Bürgerrechten, Umweltschutz, Gleichberechtigung, soziale Sicherheit – irgend etwas übriggeblieben wäre. Gut für sie, dass Söder sich lieber die noch pflegeleichteren »Freien Wähler« ins Kabinett holen will.

Wer aufatmen wollte, musste sich aufs Land begeben. Dort nahm die Plakatdichte deutlich ab, um manche Dörfer schien der Wahlkampf sogar einen Bogen gemacht zu haben. An den Baumstämmen machten vor allem CSU, Freie Wähler und manchmal die Bayernpartei auf sich aufmerksam – SPD und Linke fehlten häufig völlig. Wo in früheren Jahren NPD-Plakate hingen, prangten nun die Poster der AfD – meist in sicherer Höhe, damit sie nicht beschädigt oder entfernt werden konnten. Vor allem Die ­PARTEI verstand das als Einladung, ihre Plakate gezielt unter die Hetze der Rechten zu plazieren. Und so hing unter der AfD-Forderung nach »islamfreien Schulen« häufig das Bild einer jungen Frau mit blau-weiß kariertem Kopftuch und dem arabischen Schriftzug: »Bayern ist schön.« Anderswo empfahl sich die aus dem Magazin Titanic hervorgegangene »Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative« einfach als »bestes Mittel gegen AfDerjucken«. Als wohl einzige politische Kraft können die Satiriker so darauf hoffen, die Entsorgungskosten für ihre Propaganda gering zu halten. Am Montag boten sie ihren Sympathisanten an, die Plakate für die eigene WG-Küche oder das Kinderzimmer einzusammeln. Mit knapp 59.000 Gesamtstimmen bzw. 0,4 Prozent lag Die PARTEI praktisch gleichauf mit den Resten der Piraten, die mit Freibeuterflagge und dem Slogan »Totgesagte leben länger« vergeblich versuchten, an alte Zeiten anzuknüpfen.

Erschienen am 16. Oktober 2018 in der Tageszeitung junge Welt