Dämon und Heiliger

In Europa und den USA sind bürgerliche Politiker und die großen Mainstreammedien damit beschäftigt, den verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez zu dämonisieren. Noch immer ist vom »Tyrannen« und »Autokraten« die Rede. Aber warum sich in Venezuela Millionen Menschen von ihrem Comandante verabschieden, statt erleichtert auf den »Aufbruch in eine neue Zeit« (Guido Westerwelle) zu warten, diese Frage können sie nicht beantworten. Sie kapieren nicht, daß für die meisten Menschen in Venezuela und für Millionen Menschen weltweit Hugo Chávez gerade diesen »Aufbruch in eine neue Zeit« verkörpert hat.

 

Die Medien der venezolanischen Opposition haben das bereits begriffen – und schon begonnen, Chávez zu einem Heiligen zu verklären. Der Hetzsender Globovisión, der seit Jahren Dreck und Lügen über dem venezolanischen Staatschef ausgeschüttet hatte, sendet seit Tagen mit schwarzem Trauerbalken. Die rechten Zeitungen, in denen einst sogar Mordaufrufe gegen Chávez zu lesen waren, bringen lange Fotostrecken über die Trauer des Volkes. Die Absicht dahinter ist klar.

Schon vor dem Tod des Präsidenten hatte die rechte Opposition begonnen, ihn zu verklären – und ihn gegen seinen Nachfolger Nicolás Maduro in Position zu bringen. So hatten Sprecher der Regierungsgegner nach der Rückkehr von Chávez nach Caracas diesen aufgerufen, einzugreifen und die jüngsten, von Maduro verkündeten Dekrete rückgängig zu machen. Sie ignorierten dabei, daß diese Anordnungen die Unterschrift von Chávez selbst trugen. Zugleich erfinden sie wieder einen neuen »Verfassungsbruch«: Maduro dürfe sich als Vizepräsident gar nicht um das höchste Staatsamt Venezuelas bewerben, behaupten sie unter Berufung auf Artikel 229 der Verfassung. Sie »vergessen« dabei, daß Maduro seit Freitag, seit seiner Vereidigung zum geschäftsführenden Präsidenten Venezuelas, eben kein Vizepräsident mehr ist.

Doch solche Manöver wird es in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten immer wieder geben. Jede neue Maßnahme der Regierung wird als »Verrat« an der Politik von Hugo Chávez gebrandmarkt werden. Eifrige Chronisten werden irgendwelche Zitate finden, mit denen sie Maduro und andere attackieren können. Zugleich werden sie angebliche oder tatsächliche Spannungen im Regierungslager und in der von Chávez gegründeten Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas ausschlachten und hochschreiben – immer mit dem Zusatz, daß das unter Chávez nicht möglich gewesen wäre.

So wird Chávez nur Stunden nach seinem Tod von denen okkupiert, die ihn zeit seines Lebens bekämpft hatten, weil ihre Privilegien von den Veränderungen durch die Bolivarische Revolution angegriffen wurden. Es wird die Aufgabe der lange von Chávez geführten Bewegung Venezuelas sein, sich von solchen Angriffen nicht irritieren zu lassen. Der Weg, den Chávez gewiesen hat, ist eindeutig: der Aufbau einer gerechten und freien Gesellschaft, des Sozialismus.

Erschienen am 9. März 2013 in der Tageszeitung junge Welt