Chevron will nicht zahlen

Mehrere Bundestags- und Kommunalabgeordnete von SPD, Grünen und Linkspartei haben sich in einem Aufruf mit der indigenen Bevölkerung Ecuadors solidarisiert, die von dem US-Ölmulti Chevron Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe für die Zerstörung des Regenwaldes am Amazonas verlangt. Bei einer Veranstaltung der Botschaft des südamerikanischen Landes in Berlin am Dienstag abend schlug eine Vertreterin des Deutschen Freidenker-Verbandes (DFV) zudem die Gründung eines Solidaritätskomitees vor, das Ecuadors Anliegen unterstützen soll.

 

Schon 1993 hatten rund 30000 Bewohner der nordecuadorianischen Provinz Sucumbíos den (2001 von Chev­ron aufgekauften) Ölkonzern Texaco verklagt, weil dieser Milliarden Liter giftiger Erdölabfälle im Regenwald entsorgt und dadurch das Ökosystem verschmutzt hatte. Nachdem die zunächst in den USA anhängige Klage auf Antrag der Corporation in Ecuador verhandelt wurde, verurteilte 2011 dort ein Gericht Chevron zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 18 Milliarden US-Dollar. Interessantes Detail der Entscheidung: Hätte sich der Konzern innerhalb von zwei Wochen für sein Verhalten entschuldigt, wäre nur die Hälfte der Strafe fällig geworden. Chevron denkt jedoch nicht daran, um Verzeihung zu bitten. Statt dessen wettert das Unternehmen auf seiner Homepage, daß die Klägeranwälte »gefälschte Daten« vorgelegt hätten, die von »nur angeblich unabhängigen Umweltexperten« stammten. Diese seien tatsächlich aber dafür bezahlt worden, »übertriebene Folgen für die Umwelt« festzustellen. Zudem habe sich die ecuadorianische Regierung in das Verfahren eingemischt, beklagt das Unternehmen und verweist auf einen Besuch von Staatschef Rafael Correa in der betroffenen Region. Ecuadors Botschafter in Berlin, Jorge Jurado, wies das am Dienstag zurück. Auch US-Präsident Barack Obama habe nach der Katastrophe auf der für BP arbeitenden Bohrplattform »Deepwater Horizon« 2010 die von der Ölverschmutzung betroffenen Regionen in Louisiana und Texas besucht. Wenn aber Correa sein Recht wahrnehme, sich vor Ort zu informieren, werde ihm eine Verletzung der Unabhängigkeit der Justiz unterstellt. »Wir brauchen Unterstützung, denn dieser Kampf gegen den Ölmulti ist noch lange nicht zu Ende«, so Jurado.

Texaco hatte zwischen 1971 und 1992 in Ecuador Erdöl gefördert, ohne daß das Unternehmen von staatlicher Seite nennenswerten Kontrollen unterworfen worden wäre. Dabei entsorgte der Konzern nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur ANDES rund 16,5 Milliarden Liter giftige Abwässer in ungeschützten Becken. Als Texaco sich 1992 aus Ecuador zurückzog, hinterließ es demnach 916 solcher Giftseen, einige von diesen nur wenige Meter von den nächstgelegenen Siedlungen entfernt. Aus den Becken sickerte die schwer kontaminierte Flüssigkeit in das Grundwasser und die Flüsse der Region. In diesen mußten sich die Anwohner, unter ihnen Tausende Kinder, waschen und baden, das Wasser diente zum Trinken und Kochen.

1995 schlossen Texaco und die damalige Regierung in Quito ein Abkommen, demzufolge das US-Unternehmen die Umweltverschmutzung nur zu dem Prozentsatz beseitigen mußte, der seinem Geschäftsanteil an den Bohrfeldern entsprach – 38 Prozent. Die übrigen 62 Prozent hielt das Staatsunternehmen Petro­ Ecuador. Auf diese Vereinbarung beruft sich Chevron als Rechtsnachfolger von Texaco nun, und tatsächlich entschied Mitte September der Ständige Schiedshof in Den Haag zugunsten des Ölmultis. Ecuador habe darauf verzichtet, das Unternehmen für die Schäden haftbar zu machen. Im Gespräch mit jW wies Botschafter Jurado diese Darstellung zurück. Sie beruhe auf falschen Tatsachen und auf dem Druck des Ölmultis auf das Tribunal. Man habe die Entscheidung deshalb angefochten. Der Vertrag habe keine Gültigkeit für Forderungen von Einzelpersonen oder der betroffenen Gemeinden.

Statt zu seiner Verantwortung zu stehen, hat Chevron nun seinerseits die Opfer der Umweltzerstörung und deren US-Rechtsanwalt Steven Donziger vor einem Bundesgericht in New York verklagt. Der Konzern will verhindern, daß die Betroffenen die Entschädigung in den USA eintreiben können. In Ecuador selbst ist das nicht möglich, da Chevron dort nicht mehr präsent ist. Doch die erste Prozeßwoche ist für den Konzern offenbar nicht gut gelaufen, obwohl Richter Lewis A. Kaplan Beobachtern zufolge das Unternehmen klar bevorzugt. Chevron mußte einen der wichtigsten Anklagepunkte gegen Donziger zurückziehen und einräumen, daß der Rechtsvertreter der Opfer nie veranlaßt habe, daß die ecuadorianische Staatsanwaltschaft gegen einen der wichtigsten Konzernanwälte, Ricardo Reis Veiga, strafrechtliche Ermittlungen aufnimmt. Damit verhinderte Chevron jedoch, daß Reis Veiga mit Belegen dafür konfrontiert werden konnte, daß er selbst Beweise manipuliert hat, um das wahre Ausmaß der von seinem Auftraggeber verursachten Schäden zu verschleiern. Mit einer Entscheidung in diesem Verfahren wird erst in mehreren Wochen gerechnet.

Verfaßt gemeinsam mit Lena Kreymann. Erschienen am 24. Oktober 2013 in der Tageszeitung junge Welt