Caracas sucht Kooperation

In Venezuela geben sich hochrangige internationale Gäste gegenwärtig die Klinke in die Hand. Den Auftakt des Besuchsreigens machte am Dienstag der vietnamesische Präsident Nguyen Minh Triet. Neben zahlreichen protokollarischen Terminen standen auf der Agenda des vietnamesischen Gastes vor allem Gespräche mit Ministern der venezolanischen Regierung und am Mittwoch eine als privat deklarierte Begegnung mit Präsident Hugo Chávez. Im Mittelpunkt des Besuchs steht der Wunsch Vietnams nach einer engeren Zusammenarbeit bei der Öl- und Gasproduktion. Chávez bestätigte, daß es in beiden Ländern, die erst seit 1989 diplomatische Beziehungen unterhalten, ein großes Interesse an der Einrichtung eines bilateralen Entwicklungsfonds gibt, wie ihn auch Venezuela und China vereinbart haben. Auch die staatlichen Ölkonzerne PdVSA und PetroVietnam haben eine Reihe gemeinsamer Projekte angekündigt.

In den nächsten Tagen soll dann der kubanische Präsident Raúl Castro in Caracas eintreffen. In einem Brief an seinen venezolanischen Amtskollegen hatte Castro mitgeteilt, daß er verschiedene Einladungen vorliegen habe – so nach Brasilien, China und Rußland –, aber keine dieser Reisen antreten wolle, ohne zuvor in seiner Eigenschaft als kubanischer Präsident Venezuela besucht zu haben. Damit dementierte Castro, der seit seiner Wahl zum Präsidenten im Februar die Insel nicht verlassen hatte, auch Spekulationen in der internationalen Presse, die von einem Zerwürfnis zwischen ihm und Chávez wissen wollten, weil zunächst von einem Besuch in Brasilien die Rede war.

Auch der russische Präsident Dmitri Medwedew wird nach seiner Teilnahme am Gipfeltreffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation (APEC), das heute in Lima eröffnet wird, zu einem offiziellen Besuch in Venezuela erwartet. Hier stehen vor allem wirtschaftliche Fragen im Mittelpunkt, aber auch die militärische Kooperation zwischen beiden Staaten wird sicherlich Thema sein.

Bei einer Wahlkampfkundgebung im derzeit noch von der Opposition kontrollierten Bundesstaat Zulia im Westen des Landes kündigte Chávez an, Venezuela werde mit russischer Hilfe einen Kernreaktor bauen, der aber ausschließlich friedlichen Zwecken dienen werde. Auch der Sprecher der russischen Atomenergiegesellschaft Rosatom, Sergej Nowikow, bestätigte gegenüber der Agentur Ria-Nowosti, daß beide Länder eine entsprechende Kooperationsvereinbarung unterzeichnen werden. Davon ausgehend könnten dann Verhandlungen über den Bau eines Forschungsreaktors begonnen werden, dämpfte Nowikow zugleich die Euphorie des venezolanischen Präsidenten. Chávez hatte bereits angekündigt, daß der Reaktor den Namen des aus Zulia stammenden Mikrobiologen Humberto Fernández Morán tragen solle, der einst am Apollo-Programm der US-Raumfahrtbehörde NASA beteiligt gewesen war.

Washington fühlt sich von dieser russisch-venezolanischen Zusammenarbeit bereits bedroht. So erklärte Ariel Cohen von der »Heritage Foundation«, einem einflußreichen konservativen Think-Tank in den USA, daß Venezuela keine technologische Basis für die Entwicklung der Kernenergie habe und deshalb dieser Reaktor nur eine Drohung gegen die USA sein könne. Die russische Unterstützung für den Bau eines solchen Reaktors könne deshalb zu weiteren »Irritationen« in den Beziehungen zwischen Moskau und Washington führen, wird Cohen von Ria-Nowosti zitiert.

Erschienen am 20. November 2008 in der Tageszeitung junge Welt