Caracas im Würgegriff

Die Europäische Union verschärft mit weiteren Sanktionen den Druck auf Venezuela. Wie die Nachrichtenagentur AFP am Montag meldete, haben sich die EU-Staaten darauf verständigt, elf Vertreter von Regierung und Behörden des südamerikanischen Landes mit Einreise- und Vermögenssperren zu belegen. Sie sollen verantwortlich für die Durchführung der Präsidentschaftswahl am 20. Mai gewesen sein. Um wen es sich dabei handelt, wurde zunächst nicht mitgeteilt, die Liste soll »demnächst« im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden. Bereits im Januar hatte die EU Strafmaßnahmen gegen sieben hochrangige Vertreter Venezuelas verhängt, unter anderem gegen Innenminister Néstor ­Reverol. Die Nachrichtenagentur Reuters schreibt, dass die Union, die nach den USA und der Volksrepublik China der drittgrößte Handelspartner des südamerikanischen Landes sei, Caracas isolieren wolle, um ein Ende des »autoritären Regimes« zu erreichen. Dieses werde von Brüssel für den Ruin der Wirtschaft und Lebensmittelknappheit verantwortlich gemacht.

Genau diese werden durch die Strafmaßnahmen der EU und der USA jedoch verschärft. Insbesondere Washington belässt es nämlich nicht bei eher symbolisch anmutenden Aktionen gegen einzelne Beamte und Minister, sondern blockiert umfassend den Außenhandel der Bolivarischen Republik. So dürfen US-Unternehmen der venezolanischen Regierung und dem staatlichen Erdölkonzern PDVSA keine Kredite mehr einräumen. Real bedeutet das für Caracas, das grenzüberschreitende Überweisungen auch an Drittstaaten regelmäßig in dem von Washington kontrollierten internationalen Bankensystem festgehalten werden. Bereits Anfang Januar bezifferte Venezuela die Gesamtsumme von blockierten Zahlungen auf 39 Millionen US-Dollar. Es habe sich um Überweisungen gehandelt, mit denen Lebensmittel- und Medikamentenlieferungen in das südamerikanische Land bezahlt werden sollten, erklärte Pedro Carreño, der an der Spitze einer zuständigen Kommission der Verfassunggebenden Versammlung Venezuelas steht.

Ein Versuch der venezolanischen Regierung, die Finanzblockade durch Einführung einer Kryptowährung zu umgehen, ist offenbar gescheitert. Nachdem die staatlichen Medien Anfang des Jahres voller Berichte über den »Petro« waren und sich unzählige Einsatzmöglichkeiten für das Cybergeld ausmalten, verschwand das Thema überraschend schnell wieder aus den Schlagzeilen. Präsident Nicolás Maduro erwähnte den »Petro« während seiner Wahlkampagne mit keinem Wort. Am vergangenen Mittwoch wurde dann bekannt, dass der für die Kryptowährung verantwortliche Superintendent Carlos Vargas abgelöst worden ist. Die Tageszeitung Panorama zitierte aus Twitternachrichten des Funktionärs, wonach er beauftragt worden sei, den »Petro« im Rahmen der »ökonomischen Offensive der Bolivarischen Regierung« von der Verfassunggebenden Versammlung aus zu verteidigen. Sein Nachfolger wurde Joselit Ramírez, dessen Qualifikation als Finanzexperte überschaubar erscheint. Wie das Internetportal Punto Corte schrieb, arbeitete Ramírez bislang als Präsident der Venezolanischen Kriminologenvereinigung, als Leiter des Bürgerbüros der Regionalregierung des Bundesstaates Aragua und schließlich als Generaldirektor im Büro des Vizepräsidenten. Die staatlichen Medien gingen auf den Wechsel nur am Rande ein und teilten nichts zu den Hintergründen mit. Entsprechend wild waren die Gerüchte und Spekulationen. So meldete ein Internetportal sogar die Festnahme Vargas’. Andere sprachen davon, dass die Umbesetzung der »Totenschein« für den »Petro« sei, weil angesichts eines solchen Chaos niemand in ihn investieren werde.

Washington hat US-Unternehmen bereits im März jeden Handel mit venezolanischen Digitalwährungen verboten, und auch die von der Opposition kontrollierte Nationalversammlung Venezuelas – deren Beschlüsse nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs wegen Missachtung früherer Entscheidungen null und nichtig sind – hat den »Petro« für illegal erklärt. Potentielle Investoren fürchten deshalb, dass Investitionen in das Digitalgeld nichts mehr wert sein könnten, wenn es in Caracas zu einem Regierungswechsel kommt.

Den Menschen auf der Straße ist das Gezerre um den »Petro« weitgehend egal. Sie fordern von der Regierung endlich spürbare Maßnahmen gegen die galoppierende Hyperinflation. Nach einer jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Hinterlaces, die am Sonntag im privaten Fernsehsender Televen vorgestellt wurde, lehnen 73 Prozent der Venezolaner die Wirtschaftssanktionen der USA ab, nur 25 Prozent stimmten diesen Maßnahmen zu. Eine ausländische Intervention, wie sie von Teilen der rechten Opposition gefordert wird, wird von 76 Prozent zurückgewiesen.

Auch mit Blick auf die Wahlen vom 20. Mai haben die Menschen des südamerikanischen Landes eine andere Einschätzung als ihre angeblichen Freunde in Washington und Brüssel. 68 Prozent äußerten, dass der Boykott durch die meisten Oppositionsparteien ein Fehler gewesen sei. Nur 43 Prozent befürworten eine Wiederholung der Wahl Ende des Jahres, wie es etwa der unterlegene Kandidat Henri Falcón vorgeschlagen hatte. 56 Prozent wollen nicht schon wieder zu den Urnen gerufen werden.

Erschienen am 26. Juni 2018 in der Tageszeitung junge Welt