junge Welt, 28. Oktober 2017

Bruch mit Madrid

Als Reaktion auf die Aufhebung der Autonomie Kataloniens durch den spanischen Senat hat das katalanische Parlament am Freitag die Unabhängigkeit der Region von Spanien und die Gründung einer Republik ausgerufen. Fast zeitgleich stimmte der Senat, das Oberhaus des spanischen Parlaments, mit 214 gegen 47 Stimmen dafür, die gewählten Repräsentanten der abtrünnigen Region abzusetzen und Katalonien der direkten Kontrolle durch Madrid zu unterwerfen.

Damit stehen der iberischen Halbinsel spannungsgeladene Tage bevor. Es wird darauf ankommen, wem sich die Angehörigen der Regionalpolizei Mossos d’Esquadra und anderer Behörden in Katalonien unterstellen werden – der Regierung der Katalanischen Republik oder von Spanien eingesetzten Verwaltern. Entscheidend wird auch sein, ob Regierungen anderer Länder die Katalanische Republik anerkennen werden.

In Barcelona hatten die prospanischen Oppositionsparteien vor der Abstimmung das Parlament verlassen und der Mehrheit vorgeworfen, einen »Staatsstreich« zu begehen. Die Abgeordneten von Podemos und Vereinter Linker, die sowohl die Aufhebung der Autonomie durch Madrid als auch eine einseitige Unabhängigkeitserklärung ablehnen, nahmen an der Abstimmung zwar teil, votierten nach eigener Aussage allerdings mit Nein. Schließlich stimmten 70 Abgeordnete der Resolution zu, zehn votierten mit Nein, zwei gaben leere Stimmzettel ab.

Der beschlossene Antrag enthält nur in der Präambel eine ausdrückliche Proklamation der Unabhängigkeit. Im beschlossenen Text selbst wird dagegen zunächst die Entscheidung des Senats in Madrid als »Beseitigung der Selbstregierung Kataloniens« verurteilt. Zudem wird die Eröffnung eines verfassunggebenden Prozesses verkündet, dessen Höhepunkt die Wahl einer konstituierenden Versammlung sein soll. Zudem wird die Regionalregierung aufgefordert, das »Gesetz über den rechtlichen Übergang und zur Gründung der Republik« in Kraft zu setzen. Dieses soll eine reibungslose Ablösung der spanischen durch katalanische Bestimmungen gewährleisten und war am 8. September von den Abgeordneten beschlossen worden. Vier Tage später wurde es vom spanischen Verfassungsgericht in Madrid aufgehoben. Durch ihren Beschluss vom Freitag haben sich die Abgeordneten in Barcelona bewusst über die Entscheidung der spanischen Richter hinweggesetzt.

Im Parc de la Ciutadella, dem Stadtpark in unmittelbarer Nähe des Parlaments, hatten sich seit dem Morgen Tausende Menschen versammelt, um die Ausrufung der Republik zu feiern und, wie es in Aufrufen hieß, die Abgeordneten zu verteidigen. Bauern waren mit ihren Traktoren zum Ort der Kundgebung gekommen, um im Notfall die Zufahrtswege gegen spanische Sicherheitskräfte blockieren zu können. Ein Eingreifen der Guardia Civil und der Nationalpolizei war im Zuge der Entscheidung des Senats befürchtet worden. Nach der Abstimmung feierten die Menschen lautstark die Proklamation der Republik und der Unabhängigkeit. Sie schwenkten katalanische Fahnen und skandierten »Independència«. Auch Banner der Spanischen Republik und rote Fahnen waren zu sehen. Im Plenarsaal und auf der Straße wurde »Els Segadors«, die katalanische Nationalhymne, gesungen.

Ungewohnt einig zeigten sich dagegen in Madrid der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy und Podemos-Chef Pablo Iglesias. Beide verurteilten die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens als »illegal«. EU-Ratspräsident Donald Tusk appellierte an Rajoy, auf den Einsatz von Gewalt zu verzichten.

Erschienen am 28. Oktober 2017 in der Tageszeitung junge Welt