Bolívar, Chávez und die Kirchenfürsten

„Der katholische Klerus ist das Krebsgeschwür unserer Gesellschaft.” Diese Aussage stammt nicht etwa von einem engagierten Freidenker, sondern von einem gläubigen Katholiken. Venezuelas Präsident Hugo Chávez charakterisierte so die reaktionäre Rolle, die viele venezolanische Kirchenfürsten spielen. Im Gegensatz zu vielen Priestern, die vor Ort in den armen Vierteln der Großstädte arbeiten, stellt sich der katholische Klerus offen auf die Seite der rechten Opposition des Landes, die alles daran setzt, den seit sechs Jahren vor sich gehenden tiefgreifenden Veränderungsprozeß, die „Bolivarianische Revolution“, aufzuhalten und umzukehren. Das geht so weit, daß die offizielle Kirche nach dem Putsch vom April 2002 dem „Übergangspräsidenten“ Pedro Carmona ihren Segen erteilte und Kardinal José Ignacio Velasco seine Unterschrift unter ein Dokument setzte, in dem er zusammen mit anderen „Repräsentanten der Zivilgesellschaft“ den an die Macht geputschten Diktator anerkannte. Der Putsch scheiterte innerhalb von 48 Stunden am massiven Widerstand von mehreren Millionen Menschen und dem Eingerifen der loyalen Teile des Militärs.

Doch für die Opposition war die Auseinandersetzung damit noch nicht beendet. Im Dezember 2002 und Januar 2003 versuchte sie erneut, Chávez mit einem sogenannten „Generalstreik“ zum Rücktritt zu zwingen. Allerdings hatten die Führer der Opposition wie der Chef der gelben Gewerkschaft CTV, Carlos Ortega, nicht mit einer 62-tägigen Auseinandersetzung gerechnet, sondern auf ein schnelles Ende durch einen erneuten Militärputsch spekuliert. Als dieser ausblieb, mußten sie ihre Aktionen über die Weihnachts- und Neujahrfeiertage hinwegretten. In dieser Situation machte sich die Opposition, unterstützt vom katholischen Klerus, sogar bei ihren eigenen Anhängern unglaubwürdig, als sie dazu aufrief, Weihnachten diesmal „erst im Januar“ zu feiern. Dieser plumpe Fehler eröffnete den Anhängern des Präsidenten Chávez die Möglichkeit, sich als die besseren Christen zu präsentieren. In Abwandlung des spanischen Begriffs für Weihnachten, navidad, feierten sie „chavidad“.

Trotz solcher Erfahrungen wollten hohe Kirchenfürsten nach wie vor nichts dazulernen. So machte der Kardinal Rosalio Castillo Lara im Juni 2004, mitten im Wahlkampf um das Referendum über eine vorzeitige Abberufung des Präsidenten Chávez, der Opposition die Freude, in einem Interview von einer „Kubanisierung“ Venezuelas zu phantasieren. „Die Befehle, die Chávez befolgt, gibt ihm Castro oder sie kommen direkt aus Kuba“ zitiert das venezolanische Oppositionsblatt „El Nacional“ den Kardinal. Schon im Frühjahr hatte er die Opposition und die Streitkräfte aufgerufen „nicht zu resignieren“ und die „Freiheit und Demokratie“ zu verteidigen. Die „despotische, komplett von einem Mann abhängige“ Regierung verfolge das Ziel „Venezuela in einen kubanischen Satellitenstaat zu verwandeln, der von Fidel Castro regiert wird.“

Geschichtlich ist diese reaktionäre Rolle des Klerus nichts Neues. Reaktionäre Positionen sind im hohen Klerus auch in Lateinamerika nicht die Ausnahme, sondern die Regel, trotz solcher Gegenbewegungen wie der Befreiungstheologie oder solcher Beispiele wie dem katholischen „Guerrilla-Priester“ Camilo Torres. Die venezolanische Journalistin Ana María Granado erinnert in der deutsch-venezolanischen Zeitschrift „El Colibrí“ daran, daß die Kirchenspitze mit all ihren Bischöfen, Kardinälen und Priestern sowie ihren klerikalen Organisationen wie dem Opus Dei seit Jahrzehnten ideologisch dem „Franquismus“ und Faschismus nahestehen.

Doch schon Simón Bolívar, der in Südamerika nur „El Libertador“, „der Befreier“, genannt wird, mußte im Kampf um die Unabhängigkeit Südamerikas von der spanischen Kolonialherrschaft auch den Widerstand der katholischen Kirche überwinden.

Der am 24. Juli 1783 in Caracas geborene Simón Bolívar entstammte einer katholisch geprägten Kreolenfamilie. Unter dem Einfluß seines Lehrers Simón Rodríguez kam er jedoch in Kontakt mit den Ideen der französischen Aufklärung, las Rousseau, Voltaire, Locke und gewann eine kritische Haltung gegenüber der Allmacht der Katholischen Kirche. 1805 trat er in Paris der dortigen Freimaurerloge bei und legten den Eid ab: „Ich werde niemals eine andere als legitime Regierung anerkennen als eine solche, welche durch den Willen der Völker gewählt wurde. Das republikanische System ist das für Amerika am meisten geeignete. Ich werde mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln dafür eintreten, daß die Völker selbst über ihre Angelegenheiten entscheiden.“

Bolívar verließ die Freimaurer bald wieder enttäuscht und bekämpfte sie später sogar als „verfluchte Scharlatane“.

Als junger Mann wurde Bolívar 1805 eine Audienz beim Papst Pius VII. gewährt. Wie der General O’Leary in seinen Erinnerungen schreibt, sorgte der künftige Befreier dabei für einen Eklat, als er sich weigerte, das Kreuz auf den Sandalen des Kirchenoberhaupts zu küssen. Er sagte den entsetzten Anwesenden, das Symbol der Christen habe einen höheren Platz verdient als im Staub zu Füßen des Papstes.

Zum offenen Bruch zwischen Bolívar und der Katholischen Kirche kam es, als der Klerus den Befreier am 5. Dezember 1814 exkommunizierte. Zwar wurde dieser Schritt nur zehn Tage später durch ein zweites Kommuniqué rückgängig gemacht, allerdings blieben die Beziehungen zwischen Kirche und Freiheitskämpfern gespannt, zumal häufig Klöster und Kirchenvertreter gegen die entstehenden unabhängigen Republiken konspirierten und zur spanischen Kolonialmacht hielten.

Vor diesem Hintergrund lehnte Bolívar es ab, in die von ihm entworfene Verfassung von Bolivien einen religiösen Bezug aufzunehmen: „In einer Verfassung sollte keine religiöse Zugehörigkeit festgeschrieben werden, denn die Grundgesetze sind die Garantie der politischen und Bürgerrechte. (…) Die Religion beherrscht den Menschen zu Hause und in seinem Inneren, nur sie hat das Recht, seine innerste Überzeugung zu prüfen. Im Gegensatz dazu betrachten die Gesetze die Oberfläche der Dinge, sie regieren den Bürger außerhalb seines Heimes.“ In diesem Sinne verletzt übrigens auch die „bolivarianische“ Verfassung Venezuelas von 1999 die Vorgaben Bolívars, da sie in der Präambel um den „Schutz Gottes“ bittet.

Das hinderte die Katholische Kirche in Venezuela aber in keinster Weise daran, sich massiv gegen die neue Verfassung zu wehren. So lehnte die Kirche den Passus des Artikel 56 ab, wonach allen Menschen die freie Ausübung ihrer Religion und Riten garantiert wird, denn eine Bevorzugung der Katholiken durch den Staat ist in der Verfassung nicht zu finden. Auch die Abtreibung wird nicht ausdrücklich verboten. Die Kirche hatte zuvor sogar gefordert, das Leben „vom Augenblick der Zeugung“ an zu schützen.

Diesen Kreuzzug setzt die Kirche bis heute fort. Regelrecht aufgejammert haben die Bischöfe, als der Oberste Gerichtshof im September forderte, die Abtreibung straffrei zu erklären. Aber die Katholische Kirche hat sich daran gewöhnen müssen, daß die Mehrheit der Venezolanerinnen und Venezolaner nicht mehr bereit ist, auf ein versprochenes besseres Jenseits zu warten. Die überwältigende Unterstützung, die das Lager um den Präsidenten Hugo Chávez beim Referendum im vergangenen August sowie bei den Regionalwahlen am 31. Oktober mobilisieren konnte, ist auch auf die konkreten Ergebnisse der zahlreichen sozialen „Missionen“ wie der Alphabetisierungskampagne „Robinson“, dem Gesundheitsprogramm „Barrio Adentro“ oder auch dem Vertrieb günstiger Lebensmittel im Rahmen des Programms „Mercal“ zurückzuführen. Dagegen können sich auch die Kirchenfürsten nicht anstemmen, die deshalb im Gespräch mit dem venezolanischen Vizepräsidenten José Vicente Rangel ihre Bereitschaft andeuteten, sich „im Rahmen der kirchlichen Aufgaben“ an den Missionen zu beteiligen, „wenn die Zielsetzungen klar und transparent sind“. Ein wirkliches Friedensangebot ist dies sicherlich nicht, aber doch ein Zeichen, daß sich der Klerus seiner zunehmenden Isolation bewußt wird.

Artikel vom 6. Januar 2005