Blutiges Erbe in Peru

In Peru hat eine offenbar noch bis vor wenigen Monaten bestehende Todesschwadron über Jahre hinweg gemordet. Das bestätigte Perus stellvertretender Innenminister Rubén Vargas am Montag (Ortszeit) bei einer Pressekonferenz in Lima. Den Aktionen von hochrangigen Angehörigen der Peruanischen Nationalpolizei (PNP), die Rede ist von einem Offizier und sieben Unteroffizieren, fielen demnach zwischen 2012 und 2014 – in der Amtszeit von Präsident Ollanta Humala – mindestens 20 Menschen zum Opfer. Die Getöteten wurden anschließend als Kriminelle präsentiert, die bei ihrer Verhaftung Widerstand geleistet hätten. Die Tatorte wurden nach den tödlichen Schüssen präpariert und der Öffentlichkeit als Schauplätze von Feuergefechten zwischen den Sicherheitskräften und Verbrechern vorgeführt. In den Polizeidokumenten wurden falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt und Personen genannt, die mit den ihnen zur Last gelegten Taten nichts zu tun gehabt hätten, so Vargas. »Elf der 20 erschossenen mutmaßlichen Kriminellen hatten keine Vorstrafen oder laufende Verfahren, die es gerechtfertigt hätten, dass sie Ziel polizeilicher Aktionen wurden«, erklärte der Vizeminister. Dem Bericht zufolge ging es den Beamten darum, sich Belohnungen und Beförderungen zu erschleichen. Das gelang offenkundig: Wie die Tageszeitung Diario Uno am Dienstag berichtete, ist der namentlich nicht genannte Offizier inzwischen zum General der PNP befördert worden.

Konkrete Angaben zu den Beschuldigten machte Vargas nicht, um die weiteren Ermittlungen nicht zu gefährden. Im Fernsehsender América TV hatte sich jedoch schon am Wochenende der als »Hirn der Bande« gehandelte Polizeikommandeur Enrique Prado Ravines geäußert. Unter Tränen hatte er vor laufenden Kameras beklagt, dass es nun kriminell sein solle, Verbrecher zu erschießen. Der zuständige Minister habe seine Befugnisse überschritten, um politische Ziele zu erreichen.

Zumindest damit hat Prado vermutlich recht, denn der Zeitpunkt der Enthüllungen ist kein Zufall. Seit dem Amtsantritt des neuen konservativen Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski bemüht sich dessen Kabinett, den von Amtsvorgänger Ollanta Humala hinterlassenen Scherbenhaufen zu beseitigen. Der 2011 als Hoffnungsträger auch mit Unterstützung der Linken gewählte Politiker hatte schon wenige Monate nach dem Urnengang mit seinen Verbündeten gebrochen und war nach rechts geschwenkt. Von seinen Wahlversprechen blieb wenig übrig. Die Kriminalitätsrate in Peru ist nach wie vor hoch, die ungleiche Verteilung der Einkommen hat sich weiter verschärft. Hinzu kamen der Konflikt um Bergbauprojekte, die die Trinkwasserversorgung der Landbevölkerung gefährden. Trotz wütender Proteste der Betroffenen stellte sich der Staatschef auf die Seite des »Fortschritts«, sprich der dort aktiven Großkonzerne. In Umfragen erhielt Humala so zuletzt nur noch die Zustimmung von rund 15 Prozent der Wähler, seine Peruanische Nationalistische Partei trat zu den Wahlen im April gar nicht mehr an.

Gefährlicher ist für Kuczynski deshalb das Lager um Keiko Fujimori. Sie hatte am 5. Juni die Stichwahl um die Präsidentschaft knapp verloren, ihre Partei »Fuerza Popular« (FP, Volkskraft) verfügt im Kongress jedoch über die absolute Mehrheit der Sitze. Keikos Vater ist Exdiktator Alberto Fujimori. Dieser war 1990 zunächst demokratisch zum Staatschef gewählt worden, putschte sich jedoch knapp zwei Jahre später mit Unterstützung des Militärs selbst zum Alleinherrscher: Das Parlament wurde aufgelöst, Medien zensiert, die Justiz unter die Kontrolle des Regimes gestellt. Unter dem Vorwand des Krieges gegen die Guerillaorganisationen »Leuchtender Pfad« und MRTA wurden Gewerkschaften zerschlagen, Oppositionelle verfolgt und ermordet. So starb am 18. Dezember 1992 der Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes CGTP, Pedro Huilca. Seine Tochter Indira, die im April für das Linksbündnis Frente Amplio (FA, Breite Front) in das peruanische Parlament gewählt wurde, berief sich bei ihrem Amtseid auf das Andenken ihres Vaters sowie »auf die in der Universität Cantuta ermordeten Studenten und alle Opfer der Fujimori-Diktatur, die noch immer auf Gerechtigkeit warten«. Ihr gegenüber stand Kenji Fujimori – Sohn des Exdiktators und Bruder von Keiko.

Fast genauso klingt der Name der jetzt entdeckten Todesschwadron – »Geico«, die spanische Abkürzung für »Geheimdienstliche Sondergruppe gegen das organisierte Verbrechen«. Auch wenn bislang niemand die »Fujimoristas« mit den Verbrechen dieser Einheit in Verbindung bringt, erinnern die Enthüllungen die Peruaner doch an die Zeit der Diktatur. Das aber gefährdet die Bestrebungen der FP, den früheren Alleinherrscher aus dem Gefängnis freizubekommen, wo er eine 25jährige Haftstrafe unter anderem wegen der Ermordung von Oppositionellen absitzt. Nachdem auch der neue Präsident Kuczynski eine Begnadigung ausgeschlossen hat, dürfte die FP ihre Mehrheit im Kongress nutzen wollen. So brachte ihr Abgeordneter Guillermo Bocángel bereits eine Gesetzesänderung ins Spiel, durch die es »älteren Gefangenen« ermöglicht werden soll, ihre Strafe »zu Hause abzusitzen«.

Erschienen am 24. August 2016 in der Tageszeitung junge Welt